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Rette mich

Rette mich

Titel: Rette mich
Autoren: Becca Fitzpatrick
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aber ob sie nah oder weit entfernt waren, konnte ich nicht einschätzen. Ein Schrei durchschnitt den Nebel, und ich lief schneller. Ich wusste instinktiv, dass ich mich verstecken musste, aber ich hatte die Orientierung verloren; es war zu dunkel, um klar sehen zu können, und der unheimliche blaue Nebel verzauberte alles, was ich sah.
    In der Ferne, eingeklemmt zwischen zwei Wänden aus dürren und verwilderten Bäumen, schimmerte das Weiß eines Steinmausoleums in der Nacht. Ich kam auf die Füße und rannte darauf zu.
    Ich schlüpfte zwischen zwei Marmorstatuen hindurch, und als ich auf der anderen Seite herauskam, wartete er dort auf mich. Eine turmhohe Silhouette, den Arm zum Schlag erhoben. Ich stolperte rückwärts. Im Fallen erst bemerkte ich meinen Fehler: Er war aus Stein. Ein Engel, erhöht auf einem Sockel, der die Toten bewachte. Ich unterdrückte gerade noch ein nervöses Lachen, als mein Kopf mit etwas Hartem zusammenstieß, was die Welt verrückte. Dunkelheit umgab mich.
    Ich konnte nicht lange bewusstlos gewesen sein. Als das intensive Schwarz der Bewusstlosigkeit schwand, atmete ich noch immer heftig vom angestrengten Laufen. Ich wusste, dass ich aufstehen musste, konnte mich aber nicht erinnern warum. Also lag ich einfach da, während der eiskalte Tau sich mit dem warmen Schweiß auf meiner Haut mischte. Viel später erst schlug ich die Augen auf, und der nächstgelegene Grabstein geriet in meinen Fokus.
    Die Buchstaben des Epitaphs waren in Einzeilern graviert.
    HARRISON GREY
    HINGEBUNGSVOLLER EHEMANN UND VATER
    GESTORBEN AM 16. MÄRZ 2008
    Ich biss mir auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien. Jetzt verstand ich, warum mir der Schatten, der über meiner Schulter gelauert hatte, seit ich vor ein paar Minuten aufgewacht war, so vertraut vorkam. Ich war auf dem Stadtfriedhof von Coldwater. Am Grab meines Vaters.
    Ein Albtraum, dachte ich. Ich bin noch nicht wirklich aufgewacht. Das hier ist alles nur ein schrecklicher Traum.
    Der Engel beobachtete mich, seine angeschlagenen Flügel hinter ihm entfaltet, sein rechter Arm in den Friedhof hinein deutend. Sein Ausdruck war vorsichtig unbeteiligt, aber der Schwung seiner Lippen war eher ironisch als wohlwollend. Einen Moment lang konnte ich mir beinahe einreden, er sei real und ich nicht allein.
    Ich lächelte ihm zu und spürte, wie meine Unterlippe zu zittern begann. Ich wischte mir mit dem Ärmel über die Wangenknochen und trocknete Tränen, die ich mich nicht erinnern konnte, geweint zu haben. Ich wollte verzweifelt in seine Arme klettern, wollte den Schlag seiner Flügel spüren, wenn er uns über die Tore und von diesem Ort fortbringen würde.
    Das erneute Geräusch von Schritten holte mich aus meiner Benommenheit zurück. Jetzt waren sie schneller, brachen durch das Gras.
    Ich drehte mich zu dem Geräusch herum, verwirrt von dem Tanz eines Lichts, das in der dunstigen Dunkelheit auf- und abtauchte. Sein Strahl hob und senkte sich mit der Kadenz der Schritte. – Knirsch … Leuchten … Knirsch … Leuchten …
    Eine Taschenlampe.
    Ich kniff die Augen zusammen, als das Licht zwischen meinen Augen anhielt und mich blendete. Mir kam die schreckliche Erkenntnis, dass ich eindeutig nicht träumte.
    »Sieh mal einer an«, knurrte eine Männerstimme, versteckt hinter dem Lichtstrahl. »Du darfst dich hier nicht aufhalten. Der Friedhof ist geschlossen.«
    Ich wandte das Gesicht ab, aber hinter meinen Augenlidern tanzten immer noch Lichtblitze.
    »Wie viele sind noch hier?«, wollte er wissen.
    »Was?« Meine Stimme war ein trockenes Flüstern.
    »Wer ist sonst noch mit dir hier?«, fragte er aggressiver weiter. »Habt wohl gedacht, ihr könntet hier herauskommen und irgendwelche nächtlichen Spielchen treiben, was? Verstecken, nehme ich an? Oder Geister auf dem Friedhof jagen? Aber nicht, wenn ich Nachtwache schiebe, da gibt’s das nicht!«
    Was ich hier tat? War ich hergekommen, um meinen Vater zu besuchen? Ich kramte in meinem Gedächtnis, aber das war verstörend leer. Ich konnte mich nicht daran erinnern, auf den Friedhof gekommen zu sein. Eigentlich konnte ich mich an kaum etwas erinnern. Es war, als wäre mir die ganze Nacht irgendwie unter den Füßen weggezogen worden.
    Noch schlimmer, ich konnte mich auch an heute Morgen nicht erinnern.
    Ich konnte mich nicht daran erinnern, mich angezogen oder gefrühstückt zu haben, in die Schule gegangen zu sein. War heute überhaupt Schule gewesen?
    Ich verdrängte meine Panik vorübergehend nach ganz
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