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Replay - Das zweite Spiel

Titel: Replay - Das zweite Spiel
Autoren: Ken Grimwood
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Und dort drüben am Psychologiegebäude hatte er sich im vorletzten Studienjahr fast jeden Tag mit Gail Benson zum Mittagessen getroffen: seine erste und letzte wahrhaft platonische Freundschaft mit einer Frau. Warum hatte er von der Bekanntschaft mit Gail nicht mehr gelernt? Warum hatte er sich, in so vieler Hinsicht, so weit von den Plänen und Ambitionen entfernt, die in der besänftigenden Ruhe des grünen Rasens und der prächtigen Gebäude geboren worden waren?
    Als Jeff zum Haupteingang des Campus gelangte, war er über eine Meile gelaufen und erwartete, außer Atem zu sein, doch er war es nicht. Er stand auf der Anhöhe unterhalb der Gien Memorial Church und blickte auf die North Decatur Road und Emory Village hinab, das kleine Geschäftsviertel, das den Campus versorgte.
    Die Bekleidungs- und Buchläden wirkten mehr oder minder vertraut. Besonders ein Laden, Horton’s Drugs, rief einen Schwall von Erinnerungen wach: Im Geiste sah er die Zeitschriftenständer vor sich, die lang gestreckte weiße Theke, an der nichtalkoholische Getränke verkauft wurden, die rotledernen Sitzecken mit den einzelnen Stereo-Jukeboxen. Und er sah Judy Gordons jugendlich frisches Gesicht vor sich, roch ihr frisch gewaschenes blondes Haar.
    Kopfschüttelnd konzentrierte er sich auf die vor ihm ausgebreitete Szenerie. Wiederum konnte er nicht mit Sicherheit sagen, welches Jahr es war. Seit 1983, als Associated Press eine Konferenz zum Thema ›Terrorismus und die Medien‹ veranstaltet hatte, war er nicht mehr in Atlanta gewesen, und den Campus von Emory hatte er nicht mehr besucht, seit … Herrgott, bestimmt seit dem ersten oder zweiten Jahr nach seinem Studienabschluss nicht mehr. Er hatte keine Möglichkeit, festzustellen, ob all die Läden dort die gleichen geblieben oder in der Zwischenzeit durch Hochhäuser ersetzt worden waren oder durch eine Mall.
    Die Autos waren eine Sache für sich; jetzt, wo er darauf achtete, fiel ihm auf, dass auf der Straße kein einziger Nissan oder Toyota zu sehen war. Ausschließlich ältere Modelle, die meisten davon groß und benzinhungrig, Detroit-Modelle. Und ›älter‹ bedeutete nicht einfach nur Sechziger-Jahre-Design. Eine Menge Scheusale mit Haifischflossen waren zu sehen, die aus den Fünfzigern stammen mussten, aber 1963 hatte es natürlich ebenso viele sechs- und achtjährige Wagen auf den Straßen gegeben wie 1988.
    Immer noch nichts Schlüssiges - allmählich fragte er sich, ob die kurze Begegnung mit Martin im Wohnheim nicht vielleicht doch nur ein ungewöhnlich realistischer Traum gewesen war, ein Traum, in dessen Verlauf er aufgewacht war. Es stand außer Zweifel, dass er inzwischen hellwach war und sich in Atlanta befand. Vielleicht war er beim Versuch, das trübselige Schlamassel zu vergessen, zu dem sein Leben geworden war, zusammengeklappt und in einer spontanen Anwandlung von Nostalgie hierher geflogen. Die große Zahl alter Wagen mochte ein Zufall sein. Jeden Moment konnte einer dieser kleinen japanischen Schuhkartons vorbeifahren, an deren Anblick er sich so gewöhnt hatte.
    Es gab eine einfache Möglichkeit, dies ein für alle Mal zu klären. Mit federnden Schritten ging er hinunter zum Taxistand in der Decatur Road und stieg in das erste der dort wartenden blau-weißen Taxis ein. Der Fahrer war jung, vermutlich ein Studienanfänger.
    »Wo soll’s denn hingehen?«
    »Peachtree Plaza Hotel«, antwortete Jeff.
    »Wie bitte?«
    »Das Peachtree Plaza, in der Innenstadt.«
    »Ich glaube, das kenne ich nicht. Haben Sie die Adresse?«
    Gott, die Taxifahrer heutzutage. Mussten sie nicht eine Art Prüfung ablegen, Stadtpläne auswendig lernen und sich Orientierungspunkte einprägen?
    »Sie wissen aber, wo das Regency ist, oder? Das Hyatt House?«
    »Oh, ja klar. Dorthin wollen Sie?«
    »Ganz in die Nähe.«
    »Schon klar, Mann.«
    Der Fahrer fuhr ein paar Blocks weit nach Süden und wandte sich auf der Ponce DeLeon Avenue nach rechts. Jeff tastete nach der Gesäßtasche, sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass er in der fremden Hose nicht genug Geld bei sich haben könnte, doch es steckte eine abgenutzte braune Brieftasche darin.
    Es war nicht seine Brieftasche, aber es war Geld drin - zwei Zwanziger, ein Fünfer und ein paar Ein-Dollar-Noten -, also brauchte er sich zumindest keine Sorgen wegen der Bezahlung zu machen. Er würde das Geld dem Besitzer zurückzahlen, wenn er die Brieftasche zurückgab, zusammen mit den alten Klamotten, die er hatte mitgehen lassen. Aber wem?
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