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RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

Titel: RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Autoren: Rena Kornreich Gelissen , Heather Dune Macadam
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und Rena nach Hause zu geleiten. Doch sie war sich nie völlig sicher, ob Andrzejs Stimme sie aus dem Dunkeln fragen würde: „Servus, Rena. Kann ich dich heute nach Hause bringen?“
    Eines Frühlingabends, als sie nach Hause schlenderten, nahm er ohne jeden Grund ihre Hand. Rena wiederholt das Gespräch für mich.
     
    ~ ~ ~
     
    „Heute ist die Strasse nicht eisig, Andrzej.“, sagte ich ihm.
    „Nein, das ist sie nicht.“ Aber er liess mich nicht los. Das Geräusch des unablässig in den steinernen Brunnen tröpfelnden Wassers zog uns auf die Seite der Gasse. Er wurde langsamer, als sähe er etwas, und murmelte dann sehr sanft meinen Namen. „Rena?“
    „Ja?“ Ich blickte hoch in sein Gesicht, und dort, neben dem Dorfbrunnen, stahl Andrzej Garbera sich einen Kuss von meinen Lippen. Von diesem Moment an, gab es kein Gehen mehr, ich rannte den ganzen Weg nach Hause.
    Mama wartete in der Tür unseres Bauernhauses auf mich, ihre Laterne leuchtete und tänzelte im Dunkeln.
    „Rena!“, hörte ich sie meinen Namen rufen.
    „Ich komme, Mama.“
    „Wo bist du gewesen? Es ist spät. Komm herein.“
    „Ich habe bei Erna und Fela gelernt.“ , antwor te ich und putzte mir die Schuhe ab.
    „Gearbeitet, was?“ Sie strich mir das Haar aus dem Gesicht und sah mir in die Augen. Ich frage mich, ob sie in ihnen die Wahrheit lesen kann. „Geh und mach dich fertig fürs Bett.“
    „Ja, Mama.“ Ich küsse ihre Wange. Sie riecht so gut.
     
     
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    Während Rena spricht, merke ich, dass sie von der Vergangenheit in die Gegenwart übergeht und dann wieder zurück, dass sie zwischen den Welten von „war“ und „ist“ hin und her wechselt, als gäbe es keine genaue Trennung zwischen den beiden.
    „Ihre Haut war so weich.“ Sie holt tief Luft. „Ich kann sie noch immer riechen, als stünde sie direkt neben mir. Eine Mischung aus Challah und Vanilleextrakt, so roch Mama.“ Ihre Augen zucken zusammen, als würde allein schon der Hauch ihr tief drinnen einen Schnitt versetzen.
     
     
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    Ich bewundere mein Spiegelbild und gebe meinem Haar hundert Bürstenstriche, während ich mir vorstelle, wie An d rzej sich zum Kuss herabbeugt. Wieder und wieder denke ich daran, wie seine Lippen auf meinen schmeckten. Mein Herz rast.
    „Ich bin geküsst worden.“ Dieses grosse Geheimnis vertraue ich meinem Spiegelbild an. Wir erröten.
    Im Nachthemd schlüpfe ich zwischen kühle, saubere Baumwolllaken und warte auf Mama zum Zudecken. „Rena, du glühst ja. Was ist denn mit dir passiert?“
    „Nichts, Mama. Es ist nur so eine wunderbare Nacht.“ Ich lächle in die Dunkelheit.
    „Schlaf süss.“ Sie gibt mir einen Gutenachtkuss.
    Ein wenig Traurigkeit überkommt mich bei dem Gedanken, dass mein Geheimnis nie geteilt werden kann. Ich bin damit grossgeworden, mit Nichtjuden in eine öffentliche Schule zu gehen und von katholischen Lehrern unterrichtet zu werden, obwohl wir streng orthodoxe Juden sind. An d rzej und ich haben miteinander gespielt, seit wir Kinder waren, aber er ist kein Jude. Aus seinem Kuss kann nichts werden, das weiss ich.
     
    Das wusste ich.
     
    ~ ~ ~
     
    In ihrer Kinderzeit flirteten Rena und Andrzej im Geheimen. Doch die Zeit verging, und Andrzej, der drei Jahre älter war als Rena, besuchte die Oberschule in Krynica, einer grösseren, sieben Kilometer entfernten Stadt, und sie sahen sich nur noch selten. Rena war dreizehn, als sie ihm wieder auf dem Marktplatz begegnete. Froh, einander wiederzusehen, unterhielten sie sich über ihre Lieblingsbücher und –fächer in der Schule. Rena achtete darauf, immer den gebührenden Abstand zu ihm zu wahren, wie man es ihr beigebracht hatte, aber sie vergass auf die Uhr zu sehen. Es war schon fast dunkel, als ein Mitglied der Synagoge auf seinem Weg zum Tempel an ihr vorbeikam und sie sah. Es war Rena verboten, sich mit einem nichtjüdischen Jungen oder überhaupt einem Jungen zu unterhalten, ohne dass eine Anstandsdame dabei war, und der Mann erinnerte sie daran, ehe er ging, um ihren Vater über ihr Betragen zu informieren.
    Rena eilte allein den Berg hinab, um sich dem Zorn ihres Vaters zu stellen. Ihre Mutter weinte, und ihr Vater verbot ihr streng, jemals wieder etwas mit Andrzej zu tun zu haben.
    Jahrelang sprach sie nicht mehr mit Andrzej. Dann, eines Abends – sie war inzwischen fünfzehn –, begleitete er sie nach Hause uns sagte ihr, er ginge nach Krakau zum Militär. Rena würde ihre zufälligen Begegnungen vermissen, aber er versprach,
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