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RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

Titel: RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Autoren: Rena Kornreich Gelissen , Heather Dune Macadam
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ich betete zu Gott im Himmel, er möge Mama meine kleine Schwester zurückbringen.
    Dann hörte man Schreien von unter der Decke. Erst war alles entsetzt – ein Geist, eine Erscheinung, etwas Unfassbares war in unser Haus gekommen. Aber das Geschrei hörte nicht auf. Mama rannte zu Danka, warf die Decke zurück, und da lag sie, rotgesichtig und atmend und ganz und gar nicht damit einverstanden, dass man sie zugedeckt hatte.
    Unser Baby lebte!
    Obwohl nur zwei Jahre älter, war ich von da an die Grosse, und Danka war die Kleine. Sie war immer zarter, und Mama bemutterte sie sehr, war sie doch von der Pforte des Todes zurückgekehrt. „Pass auf die Kleine auf“, sagte Mama immer. „Kümmere dich um das Baby.“ Es war meine Lieblingsaufgabe.
     
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    Rena könnte den ganzen Tag von Tylicz und ihrer Kindheit erzählen. Was sie daran schätze, waren nicht nur ihre Erinnerungen, sondern auch die Nähe in dieser Gemeinde, ihre jüdischen und nichtjüdischen Freunde und die Einfachheit ihres Lebens.
    Als wir anfingen, hatte ich ständig die Frage im Kopf, wie es Rena schaffte, in diesen drei Jahren und einundvierzig Tagen reinster Sklaverei im Konzentrationslager der Nazis Gedanken, Herz und Geist beisammenzuhalten. Anfangs schien es so, als wollte sie es vermeiden, darüber zu reden, und lieber von ihrer Kindheit, ihrer Familie und den Freunden, mit denen sie aufwuchs, erzählen. Nach unserem ersten gemeinsamen Wochenende hatten wir Auschwitz noch kaum berührt, umkreisten das Problem wie nervöse Vollblutpferde. Doch ich wartete und hörte zu und achtete auf das Muster, vielleicht auch den Sinn hinter dem allem – es gab einen Grund, weshalb sie mit ihr ganzes Leben erzählte, und nach und nach merkte ich, dass sie meine Frage auf ihre Weise beantwortete.
     
     
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    In meiner Kindheit schwärmte ich für Andrzej Garbera, und er war in mich verknallt. Ich war gerade fünf Jahre alt, als Andrzej  mit einem Leiterwagen über die Matschkuchen fuhr, die wir geformt hatten. Es erübrigt sich zu sagen, dass unsere ganze harte Arbeit ruiniert war, und er sich nicht im Geringsten darum kümmerte, sondern stattdessen über unser Missgeschick lachte. Sein einziges Ziel schien im Quälen  von uns Mädchen zu bestehen. Auf dem Weg zur Schule bewarf er uns mit Schneebällen, doch dann eines Tages warf er keine Schneebälle mehr und war auch sonst nicht mehr zum Ärgern aufgelegt, sondern sagte einfach: „Hallo.“
    Ich erwiderte sein „Hallo“, und das war der Anfang v on Andrzej und mir.
     
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    Sie hält inne, wirft einen Blick durchs Zimmer, als stünde dort jemand vor ihr, jemand, der für mich unsichtbar war. Sie beugt sich vor uns streicht das Tischtuch des Couchtisches glatt, vergewissert sich, dass die Kanten vollkommen flach und im rechten Winkel zum Tisch liegen.
    Sie wechselt das Thema und erzählt liebevoll von den Feiertagen.
     
     
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    Frania war eine meiner besten Freundinnen. Sie kam immer zu uns ins Haus, um Sukkot, das Laubhüttenfest mit uns zu feiern. Wir bauten im Freien eine Hütte und hängten kleine Körbe mit Kastanien oder Äpfeln, farbige Papierringe und Nüsse unters Dach, das aus Baumästen gemacht war. An Weihnachten liess Mama uns dann zu Frania gehen, um ihrer Familie beim Schmücken des Weihnachtsbaumes zu helfen.
    Mein Lieblingsfeiertag war Jom Kippur, denn an diesem Tag versöhnte sich jeder mit jedem, man umarmte sich und vertrug sich wieder. Mir gefiel die ganze Idee, dass man reinen Tisch machte und wieder neu anfing. Der Hunger beherrschte all meine Gedanken. Ich trödelte auf dem Heimweg, um das Fasten so lang wie möglich auszudehnen, ass das Abendessen langsam um stellte mir vor, wie mein Hunger schon gestillt war. Wenn man den ganzen Tag gefastet hatte, glaubte man, etwas geleistet zu haben, und nach dem Tag der Busse ste l lte sich ein Gefühl des Friedens ein.
     
     
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    Als Zosia, Renas zweitälteste Schwester heiratete, bat sie ihren Vater darum, ihr doch ein paar Haare zu lassen. Rena wollte wissen, warum verheiratete Frauen ihre Köpfe rasierten. Es war ein Versprechen, für keinen anderen Mann mehr attraktiv zu sein, erklärte Mama, ein Bekenntnis, dass man sich seinem Ehemann verpflichtet hatte.
     
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    Alle paar Wochen nahm Mama ihre Perücke ab und liess sich den Kopf rasieren, wie das in orthodoxen Familien üblich ist. Mit einer Waschschüssel und Papas Haarschneider in der Hand, führte ich die Messer über ihren
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