Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras

Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras

Titel: Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Sinn hätten.
    – Was meinen Sie damit? fragte Bell.
    – Daß wir hier mehr Schwere haben, als zu Liverpool.
    – Mehr Schwere?
    – Ja! Wir, unsere Hunde, unsere Gewehre, unsere Instrumente!
    – Ist’s möglich?
    – Ohne Zweifel, und aus zwei Gründen: erstens, weil wir dem Mittelpunkt der Erde näher sind.
    – Wie! sagte Johnson, in allem Ernst, wir haben also nicht an allen Orten das nämliche Gewicht?
    – Nein, Johnson; nach Newton’s Gesetz ziehen sich die Körper an in directem Verhältniß der Massen und in umgekehrtem Verhältniß des Quadrats der Entfernungen. Hier bin ich schwerer, weil ich dem Mittelpunkt der Anziehung näher bin, und auf einem anderen Planeten würde ich mehr oder weniger Gewicht haben, je nach der Masse des Planeten.
    – Wie? sagte Bell, auf dem Mond? …
    – Auf dem Mond würde mein Gewicht, welches zu Liverpool zweihundert Pfund beträgt, nicht mehr als zweiunddreißig ausmachen!
    – Und auf der Sonne?
    – O! Auf der Sonne würde ich über fünftausend Pfund wiegen!
    – Großer Gott! rief Bell aus, da wäre also eine Winde erforderlich, um Ihre Beine aufzuheben!
    – Vermuthlich! erwiderte der Doctor, über Bell’s Verwunderung lachend; aber hier ist die Differenz nicht merkbar, und bei Entwickelung einer entsprechenden Muskelkraft wird Bell eben so hoch springen, als auf den Quais der Mersey.
    – Ja! Aber auf der Sonne? fragte Bell abermals, indem er nicht davon loskommen konnte.
    – Lieber Freund, erwiderte ihm der Doctor, aus alledem ergiebt sich, daß wir da, wo wir uns befinden, wohl aufgehoben sind, und nicht anderswohin zu eilen brauchen!
    – Sie sagten vorhin, fuhr Altamont fort, es sei vielleicht der Mühe werth, einen Ausflug nach dem Mittelpunkt der Erde hin zu machen! Hat man jemals den Gedanken gehabt, eine solche Reise vorzunehmen?
    – Ja, und damit will ich beschließen, was ich Ihnen in Beziehung auf den Pol zu sagen habe. Es giebt auf der Welt keinen Punkt, der zu mehr Hypothesen und Hirngespinsten Anlaß gegeben hätte! Die Alten, sehr unwissend in der Kosmographie, verlegten dahin den Garten der Hesperiden. Im Mittelalter meinte man, die Erde ruhe auf Thürmchen, die sich auf den Polen befänden, und worauf sie sich umdrehe; aber als man sah, daß sich die Kometen frei in den Regionen um den Pol herum bewegten, mußte man auf diese Art von Stütze verzichten. Später fand sich ein französischer Astronom, Baily, der behauptete, das gebildete verloren gegangene Volk der Atlantiden, wovon Plato spricht, habe daselbst gelebt. Endlich hat man in unseren Tagen behauptet, es sei an den Polen eine ungeheure Oeffnung, wo sich der Glanz der Nordlichter entwickele, und durch welche man in’s Innere der Erde dringen könne. Sodann bildete man sich ein, in der hohlen Erdkugel befänden sich zwei Planeten, Pluto und Proserpina, und eine Luft, die in Folge starken Druckes leuchte.
    – Das Alles hat man gesagt? fragte Altamont.
    – Und man hat’s in vollem Ernst geschrieben. Der Kapitän Synnes, unser Landsmann, hat Humphry Davy, Humboldt und Arago den Vorschlag gemacht, die Reise zu wagen! Sie lehnten aber ab.
    – Und das war wohl gethan!
    – Ich glaub’s wohl. Wie dem auch sein mag, Sie sehen, meine Freunde, daß die Einbildungskraft in Hinsicht auf den Pol freien Spielraum hatte und daß man früher oder später auf die einfache Wahrheit zurück kam.
    – Uebrigens werden wir’s wohl sehen, sagte Johnson, der an seinen Ideen festhielt.
    – Dann, sagte der Doctor, Excursionen auf morgen, – dabei lächelte er, daß er den alten Seemann nicht überzeugen konnte, – und wenn es eine besondere Oeffnung giebt, um in’s Innere der Erde zu dringen, so wollen wir mit einander dabei sein!«
Fünfundzwanzigstes Capitel.
Der Berg Hatteras.
    Nach dieser gehaltvollen Unterredung richtete sich Jeder in der Grotte so gut wie möglich ein und sank bald in Schlaf.
    Nur Hatteras nicht. Was raubte dem außerordentlichen Manne den Schlaf?
    Hatte er nicht seinen Lebenszweck erreicht? Hatte er nicht die kühnen Entwürfe, welche ihm so sehr am Herzen lagen, in Erfüllung gebracht? Weshalb wurde die Unruhe dieser glühenden Seele nun nicht gestillt? Hätte man nicht glauben sollen, Hatteras werde nach Ausführung seiner Projecte in eine Art Abspannung verfallen, und seine gespannten Nerven nach Ruhe trachten?
    Aber nein. Er zeigte sich nur noch mehr aufgeregt. Doch war’s nicht der Gedanke an die Rückkehr, welcher ihn so unruhig machte. Wollte er noch weiter dringen?
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher