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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan.
Autoren: Carlos Castaneda
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wohnenden Indianern fand ich sein Haus. Es war früher Nachmittag, als ich ankam und vor dem Haus parkte. Ich sah Don Juan auf einer hölzernen Milchbütte sitzen. Er schien mich zu erkennen und grüßte mich, als ich aus dem Wagen stieg. Einige Zeit tauschten wir gesellschaftliche Höflichkeiten aus, und dann bekannte ich ihm unumwunden, daß ich ihm gegenüber unredlich gewesen sei, als wir uns das erstemal begegneten. Ich hatte geprahlt, viel über Peyote zu wissen, während ich in Wirklichkeit nichts gewußt hatte.
    Er sah mich lange an. Seine Augen blickten sehr freundlich. Ich sagte ihm, daß ich mich sechs Monate lang mit Hilfe von Büchern auf unsere Zusammenkunft vorbereitet hatte und diesmal tatsächlich viel mehr wisse.
    Er lachte. Offenbar fand er an dem, was ich gBsagt hatte, irgend etwas lustig. Er lachte mich aus, und ich war ein wenig verwirrt und gekränkt.
    Er schien mein Unbehagen zu bemerken und versicherte mir, daß es, auch wenn ich gute Absichten gehabt haben sollte, ganz unmöglich gewesen sei, mich auf unsere Begegnung vorzubereiten.
    Ich fragte mich, ob es schicklich sei, mich nach der versteckten Bedeutung dieses Satzes zu erkundigen, aber ich tat es dann doch nicht; er aber schien zu spüren, was ich empfand, und fuhr fort zu erklären, was er gemeint hatte.
    Meine. Bemühungen, sagte er, erinnerten ihn an eine Geschichte, die von Menschen handelte, die ein gewisser König einst hatte verfolgen und töten lassen. In dieser Geschichte, sagte er, unterschieden sich die Verfolgten in nichts von ihren Verfolgern, außer, daß sie bestimmte Wörter hartnäckig in einer nur ihnen eigentümlichen Weise aussprachen; diese Schwäche wurde ihnen natürlich zum Verhängnis. Der König stellte an kritischen Stellen Straßensperren auf, wo ein Beamter jeden Vorbeigehenden aufforderte, ein Schlüsselwort auszusprechen. Diejenigen, die es so aussprechen konnten, wie der König es tat, blieben am Leben, diejenigen aber, die es nicht konnten, wurden sofort getötet. Die Pointe der Geschichte lief darauf hinaus, daß eines Tages ein junger Mann beschloß, sich auf das Passieren der Straßensperre vorzubereiten, indem er lernte, das Schlüsselwort so auszusprechen, wie der König es wünschte.
    Mit breitem Lächeln sagte Don Juan, der junge Mann habe tatsächlich sechs Monate gebraucht, bis er die Aussprache beherrschte. Und dann kam der Tag der großen Prüfung; der junge Mann erreichte sehr zuversichtlich die Straßensperre und wartete darauf, daß der Beamte ihn aufforderte, das betreffende Wort auszusprechen. An dieser Stelle machte Don Juan eine sehr dramatische Pause und sah mich an. Diese Unterbrechung seiner Erzählung wirkte einstudiert und erschien mir etwas abgeschmackt, aber ich spielte mit. Eine etwas andere Version dieser Geschichte kannte ich bereits. Dabei ging es um die Juden in Deutschland und darum, wie man an der Aussprache bestimmter Wörter feststellen konnte, wer Jude war. Ich kannte auch die Pointe: der junge Mann wurde erwischt, weil der Beamte das Schlüsselwort vergessen hatte und ihn aufforderte, ein anderes auszusprechen, das ganz ähnlich klang, dessen richtige Aussprache der junge Mann jedoch nicht gelernt hatte. Don Juan schien darauf zu warten, daß ich fragte, wie es weiterging, und so tat ich es. »Und was geschah mit ihm?« fragte ich, wobei ich versuchte, mich naiv zu geben und an der Geschichte interessiert zu sein. »Der junge Mann, der ein schlauer Fuchs war«, sagte er, »erkannte, daß der Beamte das Schlüsselwort vergessen hatte, und noch bevor dieser etwas sagen konnte, gestand er, daß er sich sechs Monate lang vorbereitet hatte.«
    Wieder machte er eine Pause und sah mich mit boshaft glitzernden Augen an. Diesmal hatte er mich überrascht. Das Geständnis des jungen Mannes war ein neues Element, und ich konnte mir das Ende der Geschichte nicht mehr vorstellen. »Nun, was passierte dann?« fragte ich ganz neugierig. »Der junge Mann wurde natürlich sofort getötet«, sagte er und brach in ein dröhnendes Lachen aus. Die Art, wie er mein Interesse gefangen hatte, gefiel mir; vor allem gefiel es mir, wie er diese Geschichte mit meinem Fall in Verbindung gebracht hatte. Offensichtlich hatte er sie sogar so aufgebaut, daß sie auf mich zutraf. Auf sehr feine und kunstvolle Weise machte er sich über mich lustig. Ich stimmte in sein Lachen ein. Dann sagte ich ihm, daß ich, ganz gleich wie töricht es klingen mochte, wirklich daran interessiert sei, etwas über
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