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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
Autoren: Jules Verne
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Stamm der Zichoriengewächse gehört!«
    »Du ziehst dich immer mit Definitionen aus der Affäre!« antwortete Jonathan.
    »Das ist immerhin etwas! Im übrigen bin ich nicht schwierig, und auf Reisen dünkt mich alles gut!«
    Gegen sechs Uhr war die Flut bereits zu spüren, und kurze Zeit später schwamm der
Comte d’Erlon
ungehindert auf dem Wasser; er hatte kein Hindernis mehr zu befürchten. Deshalb konnte er nun die Loire recht schnell stromabwärts fahren, Paimbœuf, eine wichtige Kreisstadt, hinter sich lassen, und ebenso Donges, ein malerisches kleines Dorf, dessen alte Kirche am Flußufer einen wunderbaren Eindruck erweckt. Saint-Nazaire tauchte bereits hinter seiner Reede auf, und bald schon begrüßten die Reisenden diesen neugeborenen Hafen, dem die Rouenbürger in Nantes mit Grausen das opulente Schicksal von Le Havre voraussagen. Ein Mastenwald ragte über den Dämmen empor, die das Dock umschließen. Im Westen schnitt eine Wasserlinie den Himmel ab, es war das Meer.
    Jacques konnte nicht anders, er mußte einfach in die Hände klatschen und redete es mit all seinen mythologischen Namen an. Das Wetter war herrlich, und ohne die fortwährende und widerwärtige Bewegung breiter Grundseewellen wäre Jonathan vollkommen beruhigt gewesen. Bald darauf läutete die Glocke zum Mittagessen, und die Passagiere gingen in den Salon hinunter.
    Das Essen entsprach den üblichen Mittagessen an Bord eines Dampfers; die frischen Lebensmittelvorräte schienen jedermann zufriedenzustellen. Was Jacques betraf, so fiel er über seinen Teller her und verschlang alles. Er verzehrte sogar eine beachtliche Portion gegrillter Sardinen, die der Kapitän den Geschmackspapillen der Pariser Zungen besonders ans Herz legte.
    »Diese Sardinen wurden genau an der Stelle gefischt, über die wir soeben hinwegfahren, solche Sardinen werden Sie nirgendwo anders bekommen!«
    »Köstlich«, meinte Jacques. »Ich würde mich sogar erkühnen, deliziös zu sagen, wenn es Ihnen eine Freude bereitet!«
    Das Mittagessen verlief bestens, und die beiden Freunde kehrten in dem Augenblick auf das Deck zurück, als der alte Seemann von seinen Feldzügen zu erzählen anhob.
    Der Wind stand günstig; der Kapitän befahl, alle Segel zu setzen und gab ihnen dabei so zärtliche Namen wie Fock oder Besan, die Jacques in Begeisterung versetzten. Währenddessen waren die anderen Passagiere im Salon geblieben; sobald der Tisch abgedeckt war, hatten sie mit einem jener grauenhaften Besikspiele begonnen, die so sehr zum Verfall des geistigen Niveaus der Bevölkerung beigetragen haben. Darüber hinaus wirkten sie wie Leute aus der besten Gesellschaft, und zuweilen drangen ihre kultivierten Ausdrücke bis ans Oberdeck:
    »Achtzig von den Paschas, vierzig von den Knechten, sechzig von den Weibern!«
    Jacques schäumte vor Wut! Es verdarb ihm seinen Atlantischen Ozean.
    Die gefährlichen Klippen, die vor der Loire-Einfahrt warnen, entschwanden bereits aus dem Gesichtskreis der Reisenden. Die Charpentiers zeigten nicht länger ihre felsigen Köpfe, die Insel Noirmoutier verlor sich in den Strahlen der Sonne, und ein über das Deck gespanntes Sonnensegel schützte die Passagiere vor der Hitze. Jacques beharrte mit dem Hochmut eines Seefahrers darauf, sein Gesicht bräunen zu wollen, und hatte sich in der Schaluppe ausgestreckt, die an der Schiffsflanke hing; hier badete sein Gesicht, über die schäumenden Fluten gebeugt, in einer feuchten und salzigen Luft. Er verspürte nicht das geringste Anzeichen von Seekrankheit, zu sehr stand er im Bann all der Dinge, die er sah, hörte und dachte; überdies glaubte er nicht an diese Krankheit, und das ist ein sicheres Mittel, um von ihr verschont zu bleiben.
    Jonathan war weit weniger hingerissen und fühlte sich unwohl; seine Verdauung bereitete ihm Schwierigkeiten, er und sein Magen waren eben nicht seefest. Seine Hand klammerte sich mit krampfhafter Überstürzung an die Takelage; sein Gesicht wurde blaß, ein seltsamer Druck legte sich auf seine Schläfen, und in Gedanken schickte er inbrünstige Gebete an Unsere Liebe Frau der Übelkeit. Plötzlich sah man, wie er ans Heck des Schiffes stürzte, sich hinausbeugte und dem Kielwasser das Geheimnis seiner Schmerzen anvertraute.
    Jacques konnte nicht anders, als aus vollem Halse zu lachen, und der beklagenswerte Jonathan brachte es nicht übers Herz, sich deswegen zu ärgern.
    »Eigentlich«, fügte er mit feuchtem Blick und zittriger Stimme hinzu, »eigentlich ist das gar
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