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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
Autoren: Jules Verne
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bildhauergerechte Posen. Flinke Lautmalereien schlüpften ihm über die Lippen, und ein wohlklingendes Lachen brach hinter seinen weißen Zähnen eines Gascogners hervor.
    Gleich nachdem er an Bord gekommen war, übernahm er die Steuerung des Schiffes, und der Kapitän wurde seiner Verantwortung enthoben. Ein beunruhigendes Gespräch entwickelte sich jedoch zwischen den beiden, und ihre Worte schienen ein verhängnisvolles Omen zu enthalten.
    »Die Flut geht schon lange zurück«, sagte der Lotse.
    »Ach was!« antwortete der Kapitän, »uns bleibt noch genug Zeit, um ans Ziel zu kommen.«
    »Das könnte ich nicht beschwören.«
    »Wenn wir unsere Fahrt beschleunigen.«
    »Leider haben wir Gegenwind.«
    »Pah! Pah! Wir kommen trotzdem noch durch, machen Sie sich keine Sorgen.«
    »Wo sollen wir trotzdem noch durchkommen oder vielmehr nicht durchkommen?« fragte sich Jonathan, und er teilte Jacques seine Vorahnungen mit.
    »Das ist nicht möglich«, antwortete dieser, »der Kapitän hat doch gesagt, daß wir innerhalb weniger Stunden in Bordeaux sind! Wenn der Kapitän aus der Gascogne käme, wäre ich argwöhnisch! Aber er ist Bretone, ich habe vollstes Vertrauen zu ihm!«
    Eine Stunde später trieb Freund Jonathan sich an Deck herum, und der
Comte d’Erlon,
der im Schlamm der Gironde steckengeblieben war, bewegte sich so wenig wie die Erde vor Galilei.
    »Jetzt sitzen wir sechs Stunden fest«, meinte der Lotse.
    »Verdammt«, sagte der Kapitän.
    »Sollten wir nicht durchkommen, lieber Jacques?«
    »Gehen wir essen!«
    Kein einziger Passagier fehlte bei dieser Mahlzeit; die Meeresluft hatte bei allen einen Heißhunger bewirkt. Und übrigens war dies ein geeignetes Mittel, um die Zeit totzuschlagen. Koch und Kapitän blickten einander an und erblaßten. Das Schiff hatte seinen Quai in Nantes vor sechsunddreißig Stunden für eine Reise verlassen, die nur vierundzwanzig Stunden dauern sollte! Und angesichts der gegenwärtigen Lage würde auf dieses problematische Mittagessen gewiß ein unmögliches Abendessen folgen.
    »Glaubst du, daß Bordeaux wirklich existiert?« fragte Jonathan seinen Freund mit einem traurigen Lächeln.
    »Ich weiß nicht, ob Bordeaux existiert, aber ich schwöre dir, daß es Bordelaiser gibt. Gehen wir essen!«
    Summa summarum war der Schiffskoch ein Mann voll Phantasie, und in den Gerichten mit einer verdächtigen Sauce, der seltsame Gewürze einen pikanten Geschmack verliehen, servierte er mit Ach und Krach unbekannte Überreste. Zum Glück fehlte es nicht an Wein, und dieser färbte die Unreinheiten eines im Laderaum warm gewordenen Wassers! Kurz und gut, man aß mit Appetit, ohne sich über die nächste Mahlzeit Gedanken zu machen; dann gingen die einen an Deck zurück, während die anderen ihr maßloses Besikspiel wiederaufnahmen.
    Dieser Teil der Gironde bot einen höchst sehenswerten Ausblick; die Küste des rechten Ufers war kaum zu erkennen, doch am linken Ufer konnten die Reisenden jene gewaltige Halbinsel bewundern, die zwischen Fluß und Ozean eingeschlossen ist und auf der sich die Sonnenstrahlen in einer Weise verbinden, daß sie die exzellenten Médoc-Weine hervorbringen.
    Um drei Uhr spürte man die Flut ansteigen, im Heizkessel wurden die Feuer wieder entfacht und tüchtig genährt; kurz darauf begannen sich die Räder zu drehen, und das Schiff befreite sich aus der Umklammerung des seichten Gewässers. Der kleine Lotse nahm wieder seinen Beobachtungsposten neben dem Steuermann ein und zeigte mit der Hand auf die Windungen der Fahrrinne. Bald schon kam die Zitadelle von Blaye in Sicht, berühmt durch eine politische Niederkunft, die der Juliregierung aus einer heiklen Lage half. Diese Zitadelle scheint recht unbedeutend zu sein; der Strand wirkt unfruchtbar, trocken, hart und weist kein schattiges Plätzchen auf. Man spürt, daß die Schätze des Himmels dem gegenüberliegenden Ufer vorbehalten sind, wo Château-Margaux und Château-Laffite sich entfalten. Pauillac tauchte auf: Es ist der Hauptort für die Verladung der Médoc-Weine, und eine Art verlängerter Hafenmole führt in den Fluß hinein, um den Schiffen das Anlegen zu erleichtern. In der Nähe der Stadt rückten die beiden Ufer der Gironde näher zusammen. Die Strömung, stärker als auf der Loire, denn da war sie durch die ansteigende Flut gebremst worden, kam der keuchenden Maschine, die immer wieder nach Luft rang, glücklicherweise zu Hilfe.
    »Sie ist ein wenig schwach auf der Brust«, sagte Jacques, »und ich
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