Reise im Mondlicht
er von János’
Kopf das Gegenteil ablas. Davon konnte sich János nie erholen; noch Jahre nach dem Abitur kam er darauf zurück, mit Tränen
in den Augen. Er wollte mich in allem übertrumpfen: im Fußball, in der Schule, in Sachen Intelligenz. Als ich mir alle drei
Dinge abgewöhnte, war er völlig verwirrt und wußte nicht mehr, was anfangen. Am Ende verliebte er sich in Éva, weil er dachte,
Éva sei in mich verliebt. Das ist János Szepetneki.«
»Und wer ist Ervin?«
»Ervin war ein jüdischer Junge, der damals gerade zum Katholizismus übertrat,vielleicht unter dem Einfluß der geistlichen
Lehrerschaft, aber doch eher aus innerem Bedürfnis, glaube ich. Mit sechzehn war er unter all den eingebildeten intelligenten
Jungen der intelligenteste gewesen, die jüdischen Jungen sind ja frühreif. Tamás haßte ihn von Herzen für seine Intelligenz,
und er wurde richtiggehend zum Antisemiten, wenn es um Ervin ging.
Von Ervin hörten wir zum ersten Mal vom Freudianismus, vom Sozialismus, vom Märzzirkel, er war der erste unter uns, der in
sich jene seltsame Welt aufnahm, aus der später die Károly-Revolution wurde. Und er schrieb wunderschöne Gedichte, in Ady-Manier.
Dann veränderte er sich fast von einem Tag auf den andern. Er verschloß sich vor seinen Klassenkameraden, hatte nur noch mit
mir Kontakt, wobei seine Gedichte über meinen damaligen Verstand gingen, und die langen, ungereimten Verse, die er auf einmal
zu schreiben begann, gefielen mir auch nicht. Er zog sich zurück, las, spielte Klavier, und wir wußten nicht viel von ihm.
Und dann |37| sahen wir ihn eines Tages in der Kapelle mit uns zur Kommunion gehen. So erfuhren wir, daß er zum Katholizismus übergetreten
war.
Warum er das getan hatte? Wahrscheinlich, weil er vom Katholizismus und seiner für Außenstehende exotischen Schönheit angezogen
war. Und auch die unerbittliche Strenge der Dogmen und der Sittenlehre zog ihn an. Ich glaube, in ihm war etwas, das nach
Askese strebte, so wie andere auf Genüsse aus sind. Also, all die Gründe, um deretwillen auch andere zu konvertieren und sich
in eifrige Katholiken zu verwandeln pflegen. Und außerdem noch etwas, das ich damals noch nicht so klar sah. Auch Ervin liebte
das Spiel, wie alle im Ulpius-Haus außer mir. Wenn ich zurückdenke, war es so, daß er von den unteren Klassen an fortwährend
Rollen spielte. Er spielte den Intellektuellen und den Revolutionär. Er war überhaupt nie spontan, wie man es sein sollte,
sondern seine Bewegungen und Reden waren stilisiert. Er verwendete archaisierende Wörter, er war verschlossen, während er
dauernd auf den Moment des großen Auftritts wartete. Doch er spielte nicht so wie die beiden Ulpius, die ihre Rollen gleich
wieder vergaßen, um ein neues Spiel anzufangen. Er wollte mit dem Einsatz seines ganzen Lebens spielen, und im Katholizismus
fand er die große, schwere Glanzrolle. Danach experimentierte er nicht mehr mit seinen Attitüden, sondern vertiefte sich immer
mehr in diese eine Rolle.
Er war ein so eifriger Katholik, wie es die Juden zuweilen sind, für die sich das Erschütternde am Katholizismus noch nicht
in jahrhundertelanger Tradition verbraucht hat. Er war nicht auf die Art katholisch wie die frommen, armen Klassenkameraden,
die täglich zur Kommunion gingen, Kongregationen besuchten und sich auf eine geistliche Laufbahn vorbereiteten.Ein solcher
Katholizismus war Anpassung, während Ervins Katholizismus Rebellion war, Auflehnung gegen eine ungläubige oder gleichgültige
Welt. Alles sah er aus der katholischen Perspektive, die Bücher, den Krieg,seine Klassenkameraden,das Butterbrot in der Pause.Er
war viel intransigenter und dogmatischer als die strengsten unserer Lehrer. ›Niemand, der seine Hand auf den Pflug legt und
zurückblickt |38| , ist tauglich für das Reich Gottes‹, dieser biblische Spruch war sein Motto. Alles, was nicht ganz katholisch war, blendete
er aus seinem Leben aus. Er hütete sein Seelenheil mit dem Revolver.
Das einzige, das er von seinem früheren Leben bewahrt hatte, war das Rauchen. Ich erinnere mich nicht, ihn je ohne Zigarette
gesehen zu haben.
Obwohl er sehr vielen Versuchungen ausgesetzt war. Ervin war ein großer Frauenliebhaber. Er war der große Verliebte in der
Klasse und im Lieben genauso monomanisch wie János im Lügen. Von seinen Liebschaften wußten wir alle, denn er spazierte ganze
Nachmittage mit dem Mädchen seines Herzens auf
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