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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht
Autoren: Antal Szerb
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ihr?«
    Mihály wurde rot und verstummte.
    »Sag’s doch   … bitte.«
    »Wie soll ich es nur sagen   … Steh bitte auf und komm zu mir.« Erzsi stellte sich neben Mihálys Stuhl, Mihály faßte sie um die Hüfte und blickte zu ihr
     auf. Erzsi mußte lächeln.
    »Jetzt   … das ist es«, sagte Mihály. »Wenn du mich so von oben anlächelst. So lächelte auch Éva, wenn ich das Opfer war.«
    Erzsi machte sich los und setzte sich wieder an ihren Platz.
    »Interessant«, sagte sie verdrossen. »Du verschweigst bestimmt etwas. Macht nichts. Es ist nicht deine Pflicht, alles zu erzählen.
     Ich habe auch keine Gewissensbisse, weil ich dir von meinen Jugendjahren nicht alles erzählt habe. Ich finde das gar nicht
     so wichtig. Aber du warst in das Mädchen verliebt. Es ist nur eine Frage der Bezeichnung. Bei uns nennt man das Verliebtheit.«
    »Nein, ich sag’s doch, ich war nicht in sie verliebt. Nur die anderen.«
    »Welche anderen?«
    »Ich wollte gerade auf sie kommen. Jahrelang hatte das Ulpius-Haus keinen anderen Besucher als mich. Als wir in die achte
     Klasse kamen, wurde das anders. Da erschienen auf einmal auch Ervin und János Szepetneki. Sie kamen zu Éva, nicht zu Tamás
     wie ich. Die Sache hatte sich ergeben, weil die Schule wie jedes Jahr ein Theaterstück aufführte, und da wir die Schüler der
     obersten Klasse waren, hatten wir dabei die Hauptrollen. Es handelte sich um irgendein Gelegenheitsstück, sehr schön, bloß
     eben auch mit einer |35| ziemlich großen Frauenrolle darin. Die Jungen brachten zu diesem Zweck ihre kleinen Flammen vom Tanzkurs oder von der Eisbahn
     mit, doch der Lehrer, der das Stück inszenierte, ein sehr intelligenter, die Frauen von Herzen hassender junger Priester,
     fand sie alle ungeeignet. Irgendwie erwähnte ich die Sache vor Éva, und die geriet in Aufregung; das war doch die große Chance,
     ihre Schauspielerinnenkarriere anzutreten. Tamás wollte natürlich nichts davon hören, er fand es schauderhaft unvornehm, mit
     der Schule in eine solche enge, geradezu familiäre Beziehung zu treten. Doch Éva terrorisierte mich so lange, bis ich die
     Sache vor dem Lehrer, der mich übrigens gern mochte, zur Sprache brachte, und der beauftragte mich, Éva mitzubringen. Das
     tat ich dann auch. Éva brauchte bloß den Mund aufzutun, und schon sagte der Lehrer: ›Sie haben die Rolle, Sie und keine andere.‹
     So daß Éva sogar noch Mätzchen machen konnte, indem sie sich auf die theaterfeindliche Einstellung ihres strengen Vaters berief
     und sich eine halbe Stunde lang bitten ließ, bis sie schließlich einwilligte.
    Von der Aufführung selbst will ich jetzt nicht erzählen und bemerke nur nebenbei, daß Éva keinen Erfolg hatte. Die versammelten
     Eltern, unter ihnen auch meine Mutter, fanden sie zu kühn, zu wenig weiblich, ein bißchen ordinär und irgendwie komisch usw.;
     besser gesagt, sie spürten an ihr die Rebellion, und ohne daß an Évas Spiel oder an ihrer Kleidung oder an ihrem Benehmen
     etwas auszusetzen gewesen wäre, waren sie empört. Aber auch unter den Jungen hatte sie keinen Erfolg, umsonst war sie viel
     schöner als die kleinen Flammen vom Tanzkurs. Die Jungen erkannten zwar an, daß sie sehr schön war, ›aber irgendwie   …‹, sagten sie und zuckten mit den Schultern. In diesen gutbürgerlichen Jungen steckte schon der Keim einer Abwehr gegen jegliches
     Aufbegehren, so wie bei den Eltern. Nur Ervin und János erkannten in Éva die verzauberte Prinzessin, denn sie waren selbst
     Aufständische.
    Du hast János Szepetneki heute gesehen. So war er schon immer. Er war der beste Rezitator, im Literaturzirkel brillierte er
     vor allem als Cyrano. Er trug einen Revolver bei sich, und als er noch kleiner war, erschoß er wöchentlich ein paar Einbrecher,
     die irgendwelche geheimnisvollen Dokumente seiner verwitweten |36| Mutter stehlen wollten. Er hatte großartige Frauengeschichten zu einer Zeit, da die anderen erst so weit gediehen waren, daß
     sie ihrer Tänzerin mit großem Eifer auf die Füße traten. Die Sommerferien verbrachte er auf dem Schlachtfeld und kam ruhmbedeckt
     zurück. Seine Kleider waren immer zerrissen, denn fortwährend fiel er von irgendwo herunter. Und sein größter Ehrgeiz war
     es, mir zu beweisen, daß er mir über war. Ich glaube, das rührte daher, daß wir mit dreizehn einen Lehrer gehabt hatten, der
     sich mit Schädelkunde befaßte und anhand der Höcker auf meinem Kopf feststellte, daß ich begabt war, während
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