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Reise durch die Sonnenwelt

Reise durch die Sonnenwelt

Titel: Reise durch die Sonnenwelt
Autoren: Jules Verne
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ziemlich hoch über dem Horizonte stand.
    – Um acht Uhr?
    – Mindestens, Herr Kapitän.
    – Wäre das möglich?
    – Ja, wir werden aufbrechen müssen.
    – Aufbrechen? Wohin?
    – Nun, nach unserem Rendezvous.
    – Welches Rendezvous?
    – Ei, das Rencontre mit dem Grafen ….
    – Mordio, rief der Kapitän, das hätte ich fast vergessen!«
    Er zog seine Uhr.
    »Was sagst Du, Ben-Zouf? Du bist ein Narr, es ist kaum zwei Uhr.
    – Zwei Uhr Früh oder zwei Uhr Nachmittag?« entgegnete Ben-Zouf, der immer nach der Sonne sah.
    Hector Servadac hielt die Uhr an’s Ohr.
    »Sie geht, sagte er.
    – Und die Sonne auch, bemerkte die Ordonnanz.
    – Wahrhaftig, nach der Höhe über dem Horizont zu urtheilen … ah, bei allen Weinbergen Medocs ….
    – Was ist Ihnen, Herr Kapitän?
    – Es muß ja um acht Uhr Abends sein?
    – Abends?
    – Gewiß, die Sonne steht im Westen, sie ist offenbar beim Niedergehen.
    – Im Untergehen, nein, nein, mein Kapitän, antwortete Ben-Zouf; sie steht jetzt auf, wie ein Conscribirter beim Morgenschuß. Da sehen Sie, während wir sprechen, ist sie schon höher gestiegen.
    – So geht die Sonne also jetzt im Westen auf, murmelte Servadac. Ach was, das ist ja unmöglich!«
    Immerhin war die Thatsache nicht wegzuleugnen. Das Strahlengestirn stieg scheinbar über den Wellen des Cheliff auf und beschrieb seinen Bogen über dem westlichen Horizonte, den es früher erst Nachmittags durchmessen hatte.
    Hector Servadac sah nun wohl ein, daß ein absolut unerhörtes und ebenso unerklärliches Ereigniß, wenn auch nicht die Lage der Sonne in der siderischen Welt, so doch die Richtung der Erdrotation um ihre Achse verändert habe.
    Es war zum Verstandverlieren. Konnte das Unmögliche zur Wahrheit werden? Hätte Kapitän Servadac eines der Mitglieder des Längenvermessungsbureaus bei der Hand gehabt, er würde einige Aufklärung zu erlangen gesucht haben. Da er ganz auf sich allein angewiesen war, so tröstete er sich mit den Worten:
    »Meiner Treu, die ganze Sache geht im Grunde nur die Astronomen an, ich werde ja in acht Tagen sehen, was sie in den Zeitungen darüber veröffentlichen.«
    Ohne sich noch unnöthig lange bei der Untersuchung des Grundes dieser seltsamen Erscheinung aufzuhalten, rief er nach seiner Ordonnanz.
    »Nun vorwärts! Was hier auch passirt ist und ob die ganze Erde und Himmelsmechanik in Unordnung gerathen ist, jedenfalls muß ich der Erste am Platze sein, um Graf Timascheff die Ehre zu erweisen …
    – Ihm den Degen durch den Leib zu bohren!« vervollständigte Ben-Zouf den Satz.
    Wären Hector Servadac und seine Ordonnanz besonders aufgelegt gewesen, auf die physischen Veränderungen zu achten, die in dieser Nacht vom 31. December zum 1. Januar mit ihnen so plötzlich vorgegangen waren, nachdem sie doch die Modification in der scheinbaren Bewegung der Sonne constatirt hatten, ihr Erstaunen wäre sicher noch mehr gewachsen. Um zuerst von ihnen selbst zu sprechen, so fühlten sie sich etwas beengt, mußten häufiger Athem holen, wie es den Bergsteigern zu ergehen pflegt, so als sei die umgebende Luft minder dicht und folglich auch minder reich an Sauerstoff; dazu erschien ihre Stimme sehr schwach. Entweder also waren sie über Nacht halb taub geworden oder sie mußten annehmen, daß die Luft plötzlich eine Verminderung ihrer Leitungsfähigkeit für Schallwellen erfahren habe.
    Diese physikalischen Veränderungen bekümmerten im gegenwärtigen Augenblicke aber weder Kapitän Servadac noch Ben-Zouf und Beide trabten auf den Cheliff zu, wobei sie dem Wege auf dem steilen Ufer folgten.
    Auch das gestern noch sehr dunstige Wetter zeigte sich wesentlich verändert. Ein eigenthümlich gefärbter Himmel, der sich schnell mit niedrigen Wolken bedeckte, versteckte bald die Sonne, so daß das Auge ihren Lauf nicht mehr verfolgen konnte. Es drohte ein wahrer sündfluthlicher Regen, wenn nicht ein gewaltiges Gewitter, doch gelangten diese Dunstmassen nicht zur Condensation und schlugen sich also auch nicht nieder.
    Zum ersten Male an dieser Küste schien das Meer ganz und gar verlassen. Kein Segel, keine Rauchsäule war auf dem bläulichen Wasser oder an dem grauen Himmel zu sehen. Der Horizont selbst – beruhte das nur auf optischer Täuschung – schien sich ungemein verengert zu haben, und zwar der über dem Meere ebenso, wie der, welcher nach der anderen Seite die Ebene begrenzte. Die ungeheuren Fernsichten waren gleichsam verschwunden, so als ob die Convexität der Erdkugel sehr
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