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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Autoren: Yannik Mahr
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ausgerechnet der faulste Mitarbeiter in der Firmengeschichte mehr Geld bekommen hatte. Meine letzte Gehaltserhöhung lag schon fast ein Jahr zurück …
    Wie konnte das nur passieren?
    Die Lösung war ganz einfach: Herr Müller-Hohenstein hatte die falsche Abrechnung erhalten. Ich merkte es erst, als ich aus alter Gewohnheit und um den Blicken der Kollegen keine Chance zu geben, zu Hause meinen Gehaltszettel auspackte. Was für ein Schreck! Ganz unten, wo sonst eine recht hohe vierstellige Zahl stand, las ich diesmal: 1845 Euro. Das konnte, das musste ein Irrtum sein! Ich ging sämtliche Angaben durch, und ganz am Ende warf ich auch einen Blick auf die erste Zeile des Dokuments, auf den Punkt „Name des Arbeitnehmers“. Sie können sich denken, was dort stand.
    Am nächsten Tag gab ich Herrn Müller-Hohenstein seine Gehaltsabrechnung zurück und bat im Gegenzug um meine. Die Teamsekretärin entschuldigte sich für die Verwechslung, und Herr Müller-Hohenstein verlor nie ein Wort darüber, was er auf meinem Zettel gelesen hatte.
    Weil man über Geld eben nicht spricht.

Zu Hause ist es doch am schönsten

    Wenn Herr Müller-Hohenstein die angesammelten Brückentage für interessante Reisen genutzt hätte, könnte ich ihn ja noch verstehen (siehe oben). Aber er fuhr, seit wir Kollegen denken konnten, nur zweimal im Jahr weg. Im Sommer drei Wochen nach Norderney und im Winter zwei nach Sankt Andreasberg im Oberharz. Immer dieselben Orte, immer dieselben Pensionen. Am letzten Tag der Reise buchte Herr Müller-Hohenstein gleich wieder für das nächste Jahr, und es war ein Drama, als in Sankt Andreasberg nicht nur sein Hotel, sondern beinahe der ganze Ort pleiteging. Herr Müller-Hohenstein hatte wochenlang noch schlechtere Laune als normal, weil er künftig ein paar Kilometer weiter, in Bad Lauterberg, Urlaub machen musste. Wir fragten ihn, warum er die Gelegenheit nicht nutze, um einmal andere Wintersportregionen kennenzulernen, zum Beispiel in der Schweiz oder in Österreich. Herr Müller-Hohenstein schüttelte verständnislos den Kopf, als hätten wir ihm angetragen, mit Richard Branson auf Weltraumtour zu gehen. Urlaub, außerhalb des Vaterlands, wo man ihn womöglich nicht verstand? Irgendwann reichte es mal!
    Wobei an dieser Stelle keinesfalls der Eindruck entstehen darf, wir Deutschen würden in den Ferien die Heimat nicht verlassen. Tatsächlich führen uns gut sechzig Prozent aller Reisen über die Grenzen, anders hätte uns die Welttourismusorganisation UNWTO wohl kaum zum Reiseweltmeister erklärt – mit jährlichen Ausgaben von gut 60 Milliarden Euro. Lieblingsziel war, ist und bleibt aber das eigene Land, was natürlich an dessen unübertroffener Schönheit liegt, und ein wenig an Sprache, Lebensstandard und Sicherheit. Denn was ist das Beste an einem Urlaub im eigenen Land? Genau! Man muss sich nicht umstellen, und an andere Kulturen gewöhnen muss man sich schon gar nicht (es sei denn, man verbringt ein paar Tage in Berlin-Kreuzberg, nach dem Motto: Wie die Türkei, nur ohne Strand).
    Nicht ohne Grund führt Spanien die Liste der begehrtesten Auslandsziele der Deutschen an. Auf Mallorca, längst nicht mehr die Putzfraueninsel, sondern so etwas wie das Sylt des Mittelmeers, kann der Bundesbürger in nahezu jedem Café ein Stück Käse-Sahne und ein Kännchen Kaffee bestellen, in seiner Sprache und ohne Gefahr zu laufen, blöd angesehen zu werden oder Emmentaler serviert zu bekommen. Deutsch ist hier so etwas wie die zweite Amtssprache, weswegen die Deutschen längst aufgehört haben, einen Kellner zu fragen, ob er vielleicht etwas „Allemagne“ verstehe. Seit auf Mallorca in Euro bezahlt werden kann und die Bild -Zeitung hier gedruckt wird, stellt sich jedes Jahr aufs Neue die grundsätzliche Frage, mit welcher Berechtigung die Insel eigentlich noch zu den Auslandszielen zählt. Mallorca ist in vielen Teilen mindestens so deutsch wie Bayern, mit dem Unterschied, dass man die Menschen auf der Insel deutlich besser versteht.
    Und genau darum scheint es uns Reisewütigen zu gehen. Wenn wir nicht in Deutschland oder Spanien Urlaub machen, zieht es uns nach Italien, in die Türkei oder nach Österreich, und zumindest bei den Italienern und den Türken kann man mit gutem Gewissen von Gegenbesuchen sprechen. Und die Österreicher haben seit den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts jede Menge gutzumachen. So oder so: Überall ist die Wahrscheinlichkeit groß bis sehr groß bis hundert Prozent, dass
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