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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Autoren: Yannik Mahr
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Leben, von Urlauben über eitrige Ausschläge am Bein bis hin zu ungewöhnlichen Sexpraktiken. Nur wenn es ums Geld ging, wurde es auf einmal ungewohnt ruhig im Großraum. Typisch deutsch eben.
    Wobei sich die Eigenart, unbedingt wissen zu wollen, was der Kollege verdient, aber niemals darüber zu reden, wie viel man selbst bekommt, mit steigendem Einkommen verstärkt. Je besser der Posten und damit das Salär, desto zugeknöpfter gibt sich der deutsche Arbeitnehmer. Das hört bei Aktiengesellschaften erst wieder auf Vorstandsebene auf, weil dort die Gehälter in der jährlichen Bilanz ausgewiesen werden müssen. So wissen wir zum Beispiel, dass der Chef der Deutschen Bank (ein Schweizer!) im Jahr rund zehn Millionen Euro verdient und der Vorstandsvorsitzende von Siemens immerhin noch mehr als sieben Millionen.
    Aber nutzt uns das etwas? Nein, denn leider hat noch niemand, selbst keiner der viel gerühmten deutschen Mathematiker, eine Formel errechnet, mit der meine Kollegen und ich zum Beispiel aus dem Gehalt unseres Vorstandsvorsitzenden (1,5 Millionen) Rückschlüsse auf die Einkünfte von Herrn Müller-Hohenstein ziehen könnten. Das ist bedauerlich, wie die gesamte Geheimnistuerei um die Kohle, und schadet am Ende den Arbeitnehmern. Denn wie sollen wir jemals erfahren, ob wir vernünftig bezahlt werden? Ob der Kollege am Schreibtisch gegenüber nicht deutlich mehr bekommt? Oder ob Herr Müller-Hohenstein vielleicht am besten von allen bezahlt wird, obwohl er nicht einmal in der Lage ist, vor seinen Brücken-Urlaubstagen eigenständig seinen Mail-Abwesenheitsassistenten zu aktivieren?
    Wir Deutschen haben uns mit unserer „Über Geld redet man nicht“-Mentalität hoffnungslos den Arbeitgebern ausgeliefert. Einzelne Versuche, die Mauern des Schweigens zu durchbrechen – um in den für diesen Bereich typischen Allgemeinplätzen zu sprechen –, sind zum Scheitern verurteilt. Ein Beispiel aus Autorenkreisen gefällig? Nachdem ich den Vertrag für dieses Buch unterschrieben hatte und ein paar Schriftstellerkollegen davon erzählte, wagte es tatsächlich einer, mich nach dem Vorschuss zu fragen. Das ist, neben den späteren Verkaufszahlen, nämlich die wichtigste Währung in der Szene.
    „Wie viel hast du bekommen?“, fragte der andere Autor also.
    Ich zögerte, besann mich dann aber meiner deutschen Herkunft.
    „Das Übliche“, antwortete ich.
    „Komm schon“, sagte er, „rück raus mit der Sprache. Wir sind doch hier unter Kollegen!“
    Eben, dachte ich.
    „Also, ich habe für mein letztes Sachbuch 5000 Euro Vorschuss bekommen“, sagte er. „Und du?“
    „Auch so in der Größenordnung“, erwiderte ich und fand, dass die Geld-Geheimniskrämerei auch ihr Gutes hatte. Oder hätte ich ihm allen Ernstes erzählen sollen, dass meine Vorauszahlung etwa piepmal so hoch war wie seine? Tut mir leid, ich würde gern offener zu Ihnen sein, aber ich bin genetisch dazu nicht in der Lage.
    Nur eins kann ich Ihnen verraten: Herr Müller-Hohenstein verdient deutlich weniger als ich. Mit Recht, wie ich hinzufügen möchte, bevor ich die kleine Geschichte erzähle, die zu seinem Einkommens-Outing führte.
    Es war wie immer der 27. eines Monats. Die Teamsekretärin hatte gerade die Lohn- und Gehaltsabrechnungen verteilt, und Herr Müller-Hohenstein war der Erste gewesen, der seinen DIN-A4-Umschlag aufgerissen hatte. Normalerweise ging er dann Zeile für Zeile durch, schüttelte hier und da den Kopf, um schließlich seufzend das Stück Papier in einem Ordner abzuheften.
    Dieses Mal war alles anderes. Erst grinste er leicht, dann immer breiter. So ungefähr ab Zeile fünf fing er an zu glucksen, und als er am Ende seiner Abrechnung angekommen war, fiel eine Träne auf das Stück Papier. Zeitgleich sagte er etwas wie: „Endlich!“ Dann sprang er auf, als seien die Berechnungen für die Brückentage der kommenden zehn Jahre eingetroffen, rannte ins Büro unseres Vorgesetzten und schüttelte ihm die Hand, als hätte der gerade den Wirtschafts-Nobelpreis gewonnen. „Danke“, sagte er, „ich danke Ihnen sehr!“
    Als er auf dem Rückweg an meinem Schreibtisch vorbeikam, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen, ob es etwas zu feiern gäbe. Er zierte sich, tippelte vor mir auf und ab, bevor ihm dann doch ein Wort herausrutschte: „Gehaltserhöhung.“ Mehr war, siehe oben, nicht drin. Ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, „Wie viel?“ zu fragen. Ich hatte genug damit zu tun, mich darüber zu ärgern, dass
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