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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Autoren: Yannik Mahr
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sein möchte, wenn er reist.
    Das führt dazu, dass sich Fahrgäste in Bussen und vor allem Zügen so auf die Sitze verteilen, als müssten sie gleich „Mein rechter, rechter Platz ist frei“ spielen. Um neben sich möglichst viel Raum zu schaffen, gibt es die unterschiedlichsten Strategien:
Man setze sich gleich auf den Platz am Gang und versperre so mit dem Körper den Weg zum freien Sitz am Fenster. Übergewichtige sind dabei im Vorteil.
Man nehme den Platz am Fenster und blockiere den anderen mit Einkaufstüten, Aktentaschen, Koffern oder, besonders wirkungsvoll, mit einer halb ausgelaufenen Colaflasche: „Da würde ich mich an Ihrer Stelle nicht hinsetzen, der Sitz ist nass. Und Colaflecke gehen ja ganz schwer raus.“
Man tue so, als würde man den Platz neben sich für einen Arbeitskollegen/Freund/Familienangehörigen frei halten. „Mein Kollege/Freund/Mann ist nur kurz auf die Toilette gegangen, der kommt gleich wieder.“ Gern genommen wird auch ein Satz wie: „Ich weiß nicht, aber ich glaube, da kommt noch jemand.“
In besonderen Härtefällen gebe man vor, man habe den Sitz neben sich auch noch reserviert, „um besser arbeiten zu können“.
Einfach wird es, wenn im Zug wieder einmal das Reservierungssystem ausgefallen ist und über allen Plätzen nur „gegebenenfalls reserviert“ steht. Dann kann der gewiefte Bahnfahrer einen Eindringling mit folgenden Worten abschrecken: „Meinetwegen können Sie sich gern hier hinsetzen, aber Sie müssen damit rechnen, dass jemand kommt, der reserviert hat. Der hinter mir musste deswegen gerade zum vierten Mal umziehen …“
    Und sollte sich im Zug doch einmal jemand neben Sie setzen: Fangen Sie sofort an zu husten, zu schniefen und zu röcheln, und murmeln Sie etwas wie: „Vielleicht hätte ich mich doch gegen Schweinegrippe impfen lassen sollen!“ Das hilft garantiert (außer im Hochsommer).

Die Brückentagebauer

    Wo es gerade ums Drängeln, Sammeln und Reservieren geht: Lassen Sie uns offen und ehrlich über Brückentage sprechen. Sie wissen schon: Das sind jene freien Tage, mit denen sich einzelne Feiertage und Wochenenden zu einem mehrwöchigen Urlaub kombinieren lassen. Wer es richtig anstellt, braucht nur vierzehn Tage freizunehmen und ist sechs Wochen weg.
    Bei uns in der Firma war das immer der gleiche Kollege: Herr Müller-Hohenstein. Sie werden ihm in den kommenden Kapiteln des Öfteren begegnen, und ich hoffe sehr, dass Sie ihn genauso ins Herz schließen werden, wie ich es inzwischen getan habe.
    Gut, Herr Müller-Hohenstein erscheint auf den ersten, zweiten und dritten Blick nicht unbedingt immer liebenswert, und manchmal habe ich mich wirklich über ihn geärgert. Aber erstens neige ich, ich erwähnte es bereits, zu Übertreibungen. Und zweitens steckt doch in jedem von uns (und vor allem unseren Kollegen) ein Stück von ihm. So oder so hoffe ich, dass Herr Müller-Hohenstein nicht gar so unsympathisch rüberkommt, wie es meine Lektorin befürchtet. (Wenn doch, möchte ich Sie bitten, trotzdem weiterzulesen! Ich verliere sonst eine Wette und einen großen Teil des Vorschusses, den ich für dieses Buch erhalten habe).
    Herr Müller-Hohenstein fiel in elf von zwölf Monaten eines Jahres weder durch übermäßigen Arbeitseifer noch durch sonstigen Einsatz auf, und ohne die Tage im Oktober hätten wir ihn vielleicht gar nicht bemerkt. Doch spätestens, wenn im Herbst die regionale Tageszeitung ihre vermischte Seite mit der Schlagzeile „So machen Sie das meiste aus Ihrem Urlaub“ aufmachte und darunter sämtliche Feiertage und Ferientermine des Folgejahres mit den möglichen Brückentagen veröffentlichte, kam Leben in den ansonsten ruhigen Herrn Müller-Hohenstein. Zwischen der Lektüre des Kalenders und seinen daraus resultierenden Urlaubsanträgen für das gesamte kommende Jahr vergingen bei ihm meist nie mehr als dreißig Minuten. Er bestand darauf, dass der Chef die Formulare in seinem Beisein gegenzeichnete, und ließ die Sekretärin die Urlaubstermine sofort in den Urlaubskalender der Abteilung übertragen. Wenn es später Überschneidungen mit den Reiseplänen von Kollegen gab, saß Herr Müller-Hohenstein entspannt hinter seinem Schreibtisch und erklärte, auf sein Brückentagsmonopol angesprochen: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
    Das ging so lange gut, bis besagter Tageszeitung ein verhängnisvoller Fehler unterlief. Im Herbst des Jahres 2006 druckte sie wie gewohnt die Tabelle ab, die für Herrn Müller-Hohenstein alles
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