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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Autoren: Yannik Mahr
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bedeutete. Weil es im Vorfeld mehr Gemurre als sonst über sein Verhalten gegeben hatte, beeilte er sich diesmal besonders. Zwischen dem Eintreffen der Zeitung und dem Antreten beim Chef vergingen rekordverdächtige neun Minuten. Ich glaube, der Kollege schwitzte sogar. Seine Stirn war feucht, er glücklich.
    „Ich kann doch nicht dafür bestraft werden, dass ich meinen Urlaub immer korrekt und vor allem rechtzeitig beantrage“, sagte er zum Chef, als der zum ersten Mal mit dem Abzeichnen zögerte. Zum Glück unterschrieb er dann doch, und zum Glück hatte Herr Müller-Hohenstein am nächsten Tag einen Brückentag aus dem Vorjahr zu nehmen. So verpasste er die Bürolektüre der Tageszeitung, die sich auf der ersten Seite bei ihren Leserinnen und Lesern dafür entschuldigte, dass sie in der letzten Ausgabe die falschen Ferien- und Brückentagstermine veröffentlicht hatte. „Durch ein technisches Versehen wurde gestern der Plan für 2005 abgedruckt. Wir bitten um Entschuldigung. Lesen Sie heute die richtigen Angaben und machen Sie auch 2006 mehr aus ihrem Urlaub!“
    Das haben wir dann getan und Brückentag für Brückentag gerecht aufgeteilt unter den Kollegen. Sie hätten das Gesicht von Herrn Müller-Hohenstein sehen sollen, als er herausfand, dass er im nächsten Jahr der Einzige sein würde, der nicht in den Genuss einer Urlaubsverlängerung kam. Was nicht heißen soll, dass er an den jeweiligen Brückentagen zur Arbeit erschien: Nein, Herr Müller-Hohenstein war ausgerechnet dann krank, der Arme.
    „Es ist immer das Gleiche!“, werden Sie ausrufen, weil Sie mindestens einen Herrn Müller-Hohenstein aus Ihrer Firma kennen. Ich möchte Ihnen antworten: Es sind vor allem immer die Gleichen! Wenn die Kollegen nicht rechtzeitig dazwischengehen, leiten die Müller-Hohensteins dieser Welt aus einem ein-, zwei- und dreimaligen Brückentagsbau schnell ein Gewohnheitsrecht ab, auf das sie erst mit Beginn des Vorruhestands verzichten.
    Lassen Sie es nicht so weit kommen! Sie haben die Rechtsprechung auf Ihrer Seite, bei der Frage nach den Brückentagen genauso wie bei der Urlaubsplanung insgesamt. Denn dabei setzt sich nicht automatisch derjenige durch, der seine freien Tage als Erster beantragt. Der Arbeitgeber/Chef ist verpflichtet, soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen, Eltern haben in der Regel Vorrang vor Alleinstehenden. Also zum Beispiel vor Kollegen wie Herrn Müller-Hohenstein, der seine hart erkämpften zusätzlichen Auszeiten übrigens nie dazu nutzte, um wenigstens spektakuläre Reisen zu unternehmen (siehe übernächstes Kapitel).
    Dafür war er dann wieder viel zu bequem – und zu sparsam. Wobei wir beim nächsten typisch deutschen Thema wären.

Über Geld spricht man nicht

    Wir Kollegen wussten damals alles über Herrn Müller-Hohenstein: Er war am längsten in der Firma, hatte hier vor gefühlten hundert Jahren seine Ausbildung gemacht und sich dann nicht nach oben gearbeitet, im Gegenteil. Er saß immer noch an demselben Schreibtisch, der ihm nach dem Ende der Ausbildung zugewiesen worden war, und schien darüber nicht besonders unglücklich.
    Herr Müller-Hohenstein war mit der Firma verheiratet. Er kam selbst an seinen freien Tagen, um in der Kantine zu essen, was deswegen nötig war, weil er zu Hause keine Küche hatte. Das konnten wir lange Zeit nicht glauben, bis eine Kollegin, die drei Monate lang eine Affäre mit Herrn Müller-Hohenstein gehabt hatte, es uns bestätigte. Sie war es auch, die uns von seiner ausgeprägten Vorliebe für Computerspiele und seiner riesigen Sammlung von Titanic-Devotionalien erzählte. Herr Müller-Hohenstein musste einen Großteil seines Gehalts für Teller, Tassen, Bilder, Fotos und was weiß ich ausgegeben haben, die angeblich aus dem Wrack des Schiffes stammten.
    Womit wir beim Thema wären. Nein, es geht nicht um die „Titanic“, schließlich tragen die Deutschen an dieser Katastrophe ausnahmsweise einmal keine Schuld. Es geht um Geld und darum, dass man in Deutschland nicht darüber spricht. Wie gesagt, wir Kollegen wussten alles über Herrn Müller-Hohenstein, ich hatte ihn sogar einmal erwischt, wie er auf dem Firmenparkplatz eine Praktikantin begrapscht hatte. Entsprechende Bilder hatte ich umgehend ins Intranet gestellt. Das Einzige, was wir nicht wussten, war, wie viel Herr Müller-Hohenstein verdiente – oder sonst jemand, mit dem wir tagaus, tagein in den stickigen Büros zusammensaßen. Wir erzählten uns beinahe jedes Detail aus unserem
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