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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: Bill Bryson
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nächsten Ecke auf eine Gruppe aufgedonnerter Nachtschwärmer oder einen Trupp arbeitsloser jugendlicher Rowdies stößt, die Bock haben, einem zum Zwecke flüchtigen Vergnügens ihre Initialen in die Stirn zu ritzen. Das gibt der Stadt einen gewissen Pfiff.
     

Neunundzwanzigstes Kapitel
     
    Ich bummelte noch einen Tag durch Glasgow. Weniger, weil ich dort noch länger verweilen wollte, als vielmehr, weil Sonntag war und ich nicht nach Hause fahren konnte. Denn die Züge fuhren nur bis Carlisle. (Im Winter verkehrt sonntags kein Zug zwischen Settle und Carlisle, weil es keinen Bedarf dafür gibt. British Rail scheint noch nicht auf die Idee gekommen zu sein, daß es vielleicht deshalb keinen Bedarf gibt, weil er nicht fährt.) Ich streifte kreuz und quer durch die winterlichen Straßen, schaute mir voller Hochachtung die Museen, den Botanischen Garten und die Nekropolis an, aber eigentlich wollte ich nur nach Hause, was sicher verständlich ist. Ich vermißte meine Familie, mein Bett, und außerdem muß ich, wenn ich bei mir zu Hause herumlaufe, nicht auf Schritt und Tritt aufpassen, daß ich nicht in Hundescheiße und Kotzelachen trete.
    Am folgenden Morgen bestieg ich also ganz aufgeregt den 8.10-Uhr-Zug von Glasgow-Central nach Carlisle und nahm dort nach einer belebenden Tasse Kaffee im Bahnhofsimbiß den 11.40 Uhr nach Settle.
    Die Strecke von Settle nach Carlisle ist die berühmteste Nebenstrecke der Welt. British Rail will sie seit Jahren stillegen, weil sie sich angeblich nicht trägt. Kann man sich ein verrückteres, groteskeres Argument vorstellen?
    Diese abartige Begründung hören wir nun schon so lange bei so vielen Dingen, daß sie mittlerweile keiner mehr in Frage stellt. Aber wenn man auch nur einmal eine Nanosekunde darüber nachdenkt, tragen sich die meisten lohnenswerten Sachen nicht einmal in Ansätzen, und folgt man der absurden Logik noch ein Stückchen weiter, müßte man Ampeln abschaffen, Rastplätze, Schulen, die Kanalisation, Nationalparks, Museen, Universitäten, alte Menschen und jede Menge sonst. Warum, um alles in der Welt, sollte etwas so Nützliches wie eine Eisenbahnlinie, die im allgemeinen viel netter ist als alte Menschen und gewiß weniger meckert und schwafelt, auch nur im geringsten ihre Rentabilität beweisen müssen, um ihre Existenz zu sichern?
    Nachdem ich das gesagt habe, kann ich aber auch nicht leugnen, daß die Strecke Settle-Carlisle schon immer etwas Groteskes hatte. Als sich James Allport, der Direktor der Midland Railway, im Jahre 1870 darauf versteifte, eine Eisenbahnstrecke nach Norden zu bauen, gab es schon eine an der Ostküste und eine an der Westküste, also beschloß er, eine in der Mitte hochzuverlegen, selbst wenn sie eigentlich von Nichts nach Nirgendwo über Garnichts führte. Das Ding kostete 3,5 Millionen Pfund, was heute wenig klingt, aber die phantastische Summe von 487 Trillionen Milliarden oder so was in dem Dreh ausmachen würde. Es war jedenfalls so viel, daß jeder, der auch nur ein bißchen was von Eisenbahnen verstand, zu der Überzeugung kam, daß Allport total meschugge war – war er ja auch.
    Weil die Strecke durch ein irrsinnig rauhes, unwirtliches Stück der Pennines verlaufen sollte, mußten Allports Ingenieure alle möglichen Großtaten vollbringen, zum Beispiel zwanzig Viadukte und zwölf Tunnels bauen lassen. Also bitte, hier fuhr keine exzentrische Schmalspurbimmelbahn, hier fuhr der Intercity Rapid des neunzehnten Jahrhunderts, mit dem die Reisenden über die Yorkshire Dales fliegen konnten – das heißt, wenn sie gewollt hätten. Aber keiner wollte.
    Es war also von Anfang an verlorenes Geld. Sei’s drum. Es ist eine rundum tolle Strecke, und ich war wild entschlossen, jede Minute meiner eine Stunde und vierzig Minuten und 71% Meilen langen Fahrt auszukosten. Selbst wenn man in Settle und Umgebung wohnt, findet man nicht oft einen Grund, mit dieser Bahn zu fahren, also preßte ich das Gesicht an die Scheibe und wartete neugierig auf die berühmten Wahrzeichen – Blea Moor Tunnel, etwas über anderthalb Meilen lang; Dent Station, den höchstgelegenen Bahnhof im Land; das ruhmreiche Ribblehead-Viadukt, eine Viertelmeile lang, 31,70 Meter hoch und aus vierundzwanzig eleganten Bögen bestehend. Dazwischen genoß ich die Landschaft, die nicht nur einzigartig grandios ist, sondern mich auch absolut in ihren Bann schlug.
    Wahrscheinlich findet ja jeder irgendwo ein Stückchen Erde jenseits aller Beschreibung faszinierend, und bei
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