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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe
Autoren: Christa Wolf
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auf das Problem der Rolle zurück, eine verhängnisvolle Rolle, in die man ihn diesmal gedrängt habe, die ihn, auch wenn er sich ihrer nicht bewußt war, auf Dauer beschädigen mußte. Da ließ er keinen Einwand zu. Er bemühte absurde Konstruktionen, um seine Sicht auf den »Fall« als die einzig mögliche darzustellen. An einer Stelle konnte ich mich nicht zurückhalten, ich rief: Hier fängt Ihr Wahn an! Darauf er: Ich sage ja nicht, daß es so ist. Ich sage: Ich glaube, es ist so gewesen.
    Mein Mann war dazugekommen. Uwe fing wieder zu trinken an, ging dazu über, mich mit »gnädige Frau« und mit »Komteß« anzureden. Er hatte einen glänzenden Einfall: Er wollte bei mir ein »geheimes Konto« einrichten, auf das wollte er alle Wörter und Sätze einzahlen, die er durch seinen »inneren Zensor« streichen lasse, um der DDR nicht zu schaden. Da werde einiges zusammenkommen, das sollte ihm zugute gehalten werden. Und als nächstes: Wir sollten einen ganz offenen Briefwechsel miteinander beginnen über unser Leben in den beiden Deutschländern. Dieser Vorschlag war ernst gemeint und gefiel mir. Aber ich konnte über ihn angesichts der doppelt verklebten Briefe, die bei uns ankamen, nur lachen.
    Uwe Johnson blieb an diesem Tag mehr als sieben Stunden bei uns. Wir sollten es ihm nicht übelnehmen, daß er so lange bleibe, aber er sei ganz allein in Berlin und sei ganz gerne bei uns – das sagte er, schon betrunken, in Berliner Dialekt. Ich war sehr bedrückt, als er ging. Noch bedrückter dann über
die Tatsache und die Umstände seines Todes nur ein halbes Jahr später. »Die Wahrheit zu sagen«, hatte er in einem Brief an einen Freund aus Güstrow geschrieben, »war ich ja auch bloß gekommen wegen des Ausblicks vom Kamm des Heidbergs, (eines Bildes, dessen ich) gewärtig zu sein hoffe in der Stunde meines Abscheidens.« Da ich, gerade in bezug auf ihn, jedes Urteil scheue, möchte ich an dieser Stelle einige nachdenkliche Sätze einfügen, die Siegfried Unseld, der treue Verleger und verläßliche Freund dieses – und nicht nur dieses – Autors, nach dessen Tod geschrieben hat: »Uwe Johnson wollte immer das Absolute …: unabhängig, unbestechlich, ungehorsam. Man muß hinzufügen: unbeugsam, eigenwillig. Er hatte Recht auf seine Haltung. Aber was ist Recht bei nur menschlich zu lösenden Problemen? Und hilft es, Recht zu haben? Und kann das Recht nicht auch auf unrechte Weise geschehen? Und hat nicht der, der liebt, Recht, hat er nicht sein Recht?«
    Ja: Ich glaube, Nachdenklichkeit, Verständnissuche sind Haltungen, mit denen man sich dem tief widersprüchlichen Leben des Uwe Johnson nähern sollte. Und Bemühung um Einsicht in die enge, unlösbare Verzahnung dieser Biographie mit den Zeitumständen, in die sie gestellt, denen sie ausgeliefert war. Und mit der ganz eigenen, eigensinnigen Art und Weise, mit der dieser Autor ihrer Herr zu werden versuchte: in einem Werk, das seinesgleichen sucht.
    War Uwe Johnson heute unter uns? Hätte er mein Reden über ihn als Zuwendung verstanden, als die es gemeint war, und als bewegte, teilnehmende, trauernde Verbundenheit, die ich über die Jahre hin ihm gegenüber empfinde? Dieser Preis gab mir Anlaß, mich dessen noch einmal zu versichern. Ich danke Ihnen dafür.
     
    2010

C Gespräch im Hause Wolf über den in Vers und Prosa
G sowohl als auch stückweis anwesenden Volker Braun

    C  … der ja glücklicherweise auch hier als Person anwesend ist, der heute noch gar nicht Geburtstag hat, dafür aber seine Frau Anne, der wir von Herzen gratulieren – auch dazu, daß sie das lange Zusammenleben mit einem schwierigen Menschen, der auch noch Autor ist, bravourös gemeistert hat und meistert. Aus Liebe, vermuten wir.
    … Zur Sache. Zu Volkers Sachen. Das wird natürlich Nach Lage der Dinge eine bodenlose Angelegenheit, und wir müssen uns, auch im Interesse derer, die uns zuhören, nicht nur auf das Wirklichgewollte , sondern auf das Wirklichnotwendige beschränken.
    G   Wie es gekommen ist und Was noch kommt.
    C   Der Sommer ist vor der Tür. Wir können es nicht anders machen.
    G  Wie es gekommen ist? Ich habe schon davon erzählt, wie mir zu Anfang der sechziger Jahre als Lektor eines Verlages –
    C  – es war der Mitteldeutsche, der viel später die bisher gültigste Ausgabe von Volker Brauns Texten in zeitlicher Folge über die Wende hinaus herausgab –
    G  – damals also, vor gut vierzig Jahren, war es, daß mir die respektlosen Verse
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