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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten
Autoren: C Funke
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gesehen, und deine Schreie würden die Stille vertreiben, die mir immer noch die Ohren betäubt.« Die Vorstellung zauberte ein entzücktes Lächeln auf sein verschlagenes Gesicht. Flaschengeister redeten gern, fast so gern, wie sie mordeten.
    »Du kannst die Flasche haben!«, rief Jacob. Der Schwefelgestank, der von der grauen Haut aufstieg, war so stark, dass er sich beinahe übergeben hätte. »Für einen Tropfen von deinem Blut.« Die Zähne, die der Geist entblößte, waren so grau wie sein Körper. »Mein Blut?« Sein Grinsen war unverhohlen schadenfroh. »Was bringt dich um? Gift? Eine Krankheit? Oder ein Fluch?«
    »Was geht dich das an?«, gab Jacob zurück. »Sind wir uns handelseinig oder nicht?«
    Das Grinsen wurde mörderisch. Gewöhnlich versuchten sie, einem den Kopf abzubeißen, sobald man ihnen die Flasche gab. Jacob wusste von zwei Schatzjägern, die so geendet waren. Flaschengeister hatten kräftige Zähne. Du wirst schnell sein müssen, Jacob. Sehr schnell.
    Der Geist hielt ihm die Hand hin. »Wir sind uns einig.« Selbst sein kleiner Finger war länger als ein Menschenarm.
    Jacob schloss die Faust fest um die Flasche, obwohl das Glas ihm die Haut verbrannte. »O nein. Zuerst dein Blut.« Der Geist bleckte die Zähne und beugte sich höhnisch zu ihm herab. »Warum holst du es dir nicht?«
    Darauf hatte Jacob gewartet.
    Er packte eines der gläsernen Haare und zog sich daran hoch. Der Geist griff nach ihm, aber bevor er ihn zu fassen bekam, stieß Jacob ihm die Flasche tief in die Nase. Der Geist heulte auf und mühte sich ab, sie mit seinen groben Fingern herauszuziehen. Jetzt, Jacob. Er sprang ihm auf die Schulter und schlitzte ihm mit dem Messer das zerfetzte Ohrläppchen auf. Schwarzes Blut spritzte heraus. Jacob rieb es sich in die Haut, während der Geist immer noch vergebens versuchte, sich die Flasche aus dem Nasenloch zu ziehen. Sein Keuchen und Stöhnen ließ Eiskristalle in der Luft tanzen. Jacob sprang ihm von der Schulter. Er brach sich fast die Beine, als er auf den raureifbedeckten Fliesen landete. Auf die Füße, Jacob! Über ihm zerbarst das Dach der Kapelle, als der Geist in seiner Wut den gezackten Rücken dagegen stemmte. Er schlitterte auf die Tür zu.
    Lauf, Jacob.
    Er rannte auf die hohen Tannen zu, die hinter der Kapelle wuchsen, aber bevor er Schutz unter ihren Zweigen fand, packten ihn eisige Finger und hoben ihn in die Luft. Jacob spürte, wie sie ihm eine Rippe brachen. Gefährliche Medizin.
    »Zieh sie heraus!«
    Jacob schrie auf vor Schmerz, als der Geist fester zudrückte. Die riesigen Finger hoben ihn hoch, bis er die Hand in das gewaltige Nasenloch schieben konnte.
    »Wenn du sie fallen lässt«, raunte der Geist ihm zu, »bleibt mir immer noch genug Zeit, dir die Knochen zu brechen!«
    Wahrscheinlich. Aber er würde ihn auch töten, wenn er ihm die Flasche überließ. Nichts zu verlieren. Jacobs Finger fanden den Flaschenhals und klammerten sich um das kalte Glas.
    »Zieh … sie … he…rauussss!« Die Stimme des Geistes hüllte ihn in frostige Mordlust.
    Jacob hatte es nicht eilig. Schließlich waren es vielleicht die letzten Momente seines Lebens. Oben auf dem Hügel sah er den Turm der Ruine in den immer noch dunklen Himmel ragen, und unter ihm fraß ein Marder die frischen Knospen eines Baumes. Es wurde Frühling. Leben oder Tod, Jacob. Wieder einmal.
    Er zog die Flasche aus dem Nasenloch und schleuderte sie, so fest er konnte, gegen den First der Kapelle.
    Der Wutschrei des Geistes ließ den Marder erstarren. Die grauen Finger schlossen sich so fest um Jacobs Körper, dass er glaubte, jeden Knochen brechen zu hören. Aber durch den Schmerz drang das Klirren von zersplitterndem Glas. Die riesigen Finger ließen los – und Jacob fiel.
    Er fiel tief.
    Der Aufprall nahm ihm den Atem, doch über ihm explodierte der Körper des Geistes, als hätte ihn jemand mit Sprengstoff gefüllt. Sein graues Fleisch zerstob in tausend Fetzen. Es regnete wie schmutziger Schnee auf Jacob herab und er lag da und leckte sich das schwarze Blut von den Lippen. Es schmeckte süß und brannte ihm auf der Zunge.
    Er hatte bekommen, was er wollte.
    Und er lebte noch.

5
ALMA
    I n Schwansteins gaslichterleuchteten Straßen gab es schon seit Jahren keine praktizierende Hexe mehr. Hexen verkörperten die Vergangenheit und die Bewohner von Schwanstein glaubten an die Zukunft. Sie gingen lieber zu den Ärzten, die aus Vena zugezogen waren, statt sich auf Zauberei und bitter schmeckende
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