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Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)
Autoren: Richard Weisberg
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Juristisches, philosophisches und künstlerisches Ressentiment als negative Kraft in Gesellschaft und Geschichte wird deckungsgleich mit der Darstellung des Hangs zum Juristischen ein wichtiges Anliegen dieser Romane.
    Es überrascht daher nicht, dass viele große Autoren das Recht als passendes Milieu für ihre sprachgewandten Figuren gesehen haben. Diese Autoren sind ein Hinweis darauf, dass äußerlich anscheinend kühle Formen rechtlicher Verfahren häufig die bitteren subjektiven Ziele derjenigen verschleiern, die sie einsetzen – Ziele, die in Melvilles Worten »nie […] offen genannt« werden und die nur durch sorgfältige Analyse aufgedeckt werden können. Freilich sind Juristen für Autoren gleichzeitig attraktiv und abstoßend. Einerseits sind sie das Ziel bissiger Karikaturen und Sarkasmen, aber sie dienen auch als Metapher für die thematischen, formalen und sogar persönlichen Anliegen des Romanschreibers, der sich an ihnenauslässt. Wenn Hamlet den Schädel seines hypothetischen Juristen malträtiert, liefert er damit die Vorlage für die weitere Verwendung von Juristen durch Literaten. Er macht sich über die »Klauseln und Praktiken« der Juristen lustig, doch die Angriffe seiner schauerlichen Polemik sind am überzeugendsten auf seinen eigenen verstörenden Fall anwendbar.
    Die juristische Kampagne gegen eine Reihe Verdächtiger, von denen manche total unschuldig, andere einer Übertretung schuldig sind, aber dann wegen einer anderen verurteilt werden, führt stets zu einer langwierigen narrativen Erklärung eines angeklagten Protagonisten. Da der fiktionale Kontext dieser Erklärung – im wirklichen Leben selten möglich – ein »wahrhaftiges« Portrait der vom Ankläger analysierten vorhergehenden Situation geliefert hat, entdeckt der aufmerksame Leser allmählich die Entstellungen und Unwahrheiten, mit denen der Ankläger gewisse eigennützige Zwecke verfolgen kann. So wie Ippolit Kirillowitsch die ganze Kraft seiner rhetorischen Talente gegen Dmitri Karamasow einsetzt, der des Vatermords nicht, wohl aber der Verführung von Ippolits Frau schuldig ist, versuchen Juristen als literarische Figuren häufig, ihre rein persönlichen Ressentiments zu institutionalisieren.
    Auf gleiche Weise erheben die »Philosophen« in diesen Werken eine Ethik theoretischer Freiheit von allen Strukturen in den Stand narrativer Formulierungen, um ihre Unfähigkeit zu verschleiern, in die Gemeinschaft berührenden Situationen positiv zu handeln. Häufig deckt der Rest des Romans, in dem ihre Philosophie dargelegt wird, eine ihnen spezifische Kränkung auf, die schließlich alle Gedanken des unversöhnten Verbalisierers beherrscht und bestimmt. Wenn Schahabarim, der äußerst sprachgewandte kastrierte karthagische Priester Flauberts, mit der noblen Erscheinung und der unverklemmten Sinnlichkeit seiner Schülerin Salammbô konfrontiert ist, flüstert er ihr mit Verbitterung provokative Gedanken ein, mit denen er sie auf Abwege bringen will. Der Mann aus dem Kellerloch, der wegen seiner übertriebenen Selbstbespiegelung alle seine persönlichen Beziehungen verfehlt hat, greift vermittelt durch Wörter die im Wesentlichen nicht verbale Annäherung an die Realität an, die anderen Erfüllung bringt.
    So führt die Konfrontation des reaktiven Formulierungskünstlers mit spezifischen Beispielen aktiver Alternativen in sehr effizienter Weise zur Dramatisierung der selbstkritischen Problematikmoderner literarischer Verfahren. Die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der kreativen Tat des Handlungsträgers – die Wahrheit oder Falschheit seiner narrativen Reaktion auf eine bereits offen gelegte Realität – steht als Emblem für die Effizienz oder Ineffizienz des Erzählmodus selbst. Denn immer, wenn die Vorgehensweise eines Juristen oder die Philosophie eines Intellektuellen in einem literarischen Werk ins Zentrum der Bühne rückt, formuliert der Autor genau an dieser Stelle eine Bewusstheit seines eigenen Unterfangens. Insoweit zahlreiche verbale Strukturen in modernen Romanen die Realität verzerren, die sie angeblich begreifen, nehmen diese Werke Notiz von den negativen Aspekten moderner literarischer Methoden und Bedeutungen.
    Wären die hier betrachteten Romane atypisch für die Art der Entwicklung des Genres in den letzten ca. hundert Jahren, könnte ihre kollektive Skepsis über den Erzählmodus unbemerkt bleiben. Doch kann man wohl sagen, dass die durch eine vergleichende Analyse enthüllte fundamentale Identität
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