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Rebecca

Rebecca

Titel: Rebecca
Autoren: Daphne Du Maurier
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Personal führte, verschwanden. Seit vielen Jahren kam sie nun schon in das Hotel Côte d’Azur, und abgesehen vom Bridge bestand ihr hauptsächlichster Zeitvertreib, für den sie in Monte Carlo bereits berüchtigt war, darin, vornehme Reisende als ihre Freunde auszugeben, selbst wenn sie sie nur einmal von weitem in der Post gesehen hatte. Irgendwie brachte sie es fertig, sich bekannt zu machen, und bevor ihr Opfer noch die Gefahr witterte, hatte sie es bereits mit einer Einladung in ihr Appartement überfallen. Ihre Angriffsmethode war so unverfroren und plötzlich, daß sich den Betroffenen nur selten eine Gelegenheit bot, die Flucht zu ergreifen.
    Im Côte d’Azur belegte sie ein gewisses Sofa im Gesellschaftszimmer, das sich zwischen der Empfangshalle und dem Durchgang zum Speisesaal befand, mit Beschlag und trank dort regelmäßig nach den Mahlzeiten mittags und abends ihren Kaffee. Jeder, der von dem einen Raum in den anderen ging, mußte an ihr vorbei. Bisweilen benutzte sie mich als Köder für ihre Beute, und widerwillig und unglücklich mußte ich quer durch das Zimmer gehen mit dem mündlichen Auftrag, ein Buch oder eine Zeitung zu entleihen, die Adresse irgendeines Ladens zu erfragen oder Grüße von einem soeben entdeckten gemeinsamen Freund
    auszurichten. Es schien, daß sie zu ihrem Wohlbefinden Berühmtheiten benötigte, wie Kranke ihre Süppchen, die man ihnen einlöffelt; und obwohl Titel von ihr bevorzugt wurden, tat jedes Gesicht, das sie einmal in einer mondänen Zeitschrift abgebildet gesehen hatte, denselben Dienst. Und ebenso Namen, denen man in der Skandalecke begegnet:
    Schriftsteller, Schauspieler und Künstler aller Art, selbst zweitrangige, wenn sie ihre Namen nur gedruckt gelesen hatte.
    Ich sehe sie noch genau vor mir, als ob es erst gestern gewesen wäre, wie sie an jenem unvergeßlichen Nachmittag – wie viele Jahre das jetzt her ist, tut ja nichts zur Sache – auf ihrem Lieblingssofa im Gesellschaftszimmer saß und sich einen neuen Angriffsplan zurechtlegte. Ihren nervösen, hastigen Bewegungen und der Art, wie sie mit dem Lorgnon gegen ihre Zähne klopfte, konnte ich entnehmen, daß sie verschiedene Möglichkeiten erwog.
    Und als sie nichts von der Süßspeise nahm und Käse und Obst überstürzt hinunterschlang, wußte ich, daß sie die Mahlzeit vor dem Neuankömmling beenden wollte, um sich rechtzeitig auf ihrem Sofa einzurichten, an dem er ja vorübergehen mußte. Plötzlich wandte sie sich mit einem Funkeln in ihren kleinen Augen mir zu. «Laufen Sie rasch nach oben und holen Sie mir den Brief von meinem Neffen. Sie wissen schon: den er von seiner Hochzeitsreise schrieb, mit dem Foto. Bringen Sie ihn mir sofort herunter.»
    Ich ersah daraus, daß sie ihre Strategie fertig ausgearbeitet hatte und daß der Neffe zur Vermittlung der Bekanntschaft herhalten sollte. Nicht zum erstenmal widerstrebte mir die Rolle, die ich bei der Farce, die sie in Szene setzte, spielen mußte. Wie die Gehilfin eines Jongleurs hatte ich die Requisiten zuzureichen und dann schweigend und aufmerksam auf mein Stichwort zu warten. Dieser Fremde würde ihre Zudringlichkeit nicht begrüßen, dessen war ich sicher. Nach dem Wenigen, das ich während des Essens über ihn gehört hatte – ein Durcheinander von Gerüchten und Klatsch, vor zehn Monaten aus den Tageszeitungen zusammengesucht und ihrem Gedächtnis zur späteren Verwendung einverleibt –, konnte ich mir trotz meiner Jugend und Unerfahrenheit vorstellen, daß er sich über diesen plötzlichen Einbruch in seine Einsamkeit ärgern würde. Warum er in Monte Carlo ausgerechnet auf das Hotel Côte d’Azur verfallen war, ging uns nichts an; seine Angelegenheiten waren seine eigene Sache, und jeder andere außer Mrs. Van Hopper hätte das auch eingesehen. Takt war eine ihr unbekannte Eigenschaft und Feingefühl ebenso, und da der Gesellschaftsklatsch ihr Lebenselixier war, mußte dieser Fremde ihrer Neugier geopfert werden. Ich fand den Brief in einem Fach ihres Schreibtisches, aber ich zögerte einen Augenblick, bevor ich wieder hinunterging.
    Ich bildete mir törichterweise ein, daß ich ihm in seiner Zurückgezogenheit dadurch noch ein paar freie Minuten verschaffte.
    Ich wünschte mir den Mut, auf dem Umweg über die Angestelltentreppe in den Speisesaal zu gehen und ihn dort vor dem Hinterhalt zu warnen. Mein Begriff von Wohlerzogenheit erwies sich jedoch als zu stark, auch wußte ich nicht, wie ich mich hätte ausdrücken sollen. Es blieb mir
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