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Raven (Amor-Trilogie) (German Edition)

Raven (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Raven (Amor-Trilogie) (German Edition)
Autoren: Lauren Oliver
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Seine Kleidung, die dicke Dreckschicht, seine Haltung – ich hatte ihn für älter gehalten. »Ich bin gar nichts.«
    »Du bist ein Dieb«, sagte ich und wandte den Blick ab. Ich war erst seit einem Monat in der Wildnis – und hatte noch nicht mal ansatzweise meine Angst vor ihnen abgelegt. Vor Jungen.
    Er zuckte mit den Achseln. »Ich bin ein Überlebenskünstler.«
    »Du hast unser Essen gestohlen«, sagte ich. Ich fügte nicht hinzu: Und alle haben mich verdächtigt. »Das macht dich meiner Meinung nach zu einem Schmarotzer.«
    In den letzten Wochen hatten die Siedler bemerkt, dass Vorräte fehlten, Fallen leer waren, die eigentlich voll sein sollten, ein oder zwei Krüge sauberes Wasser auf geheimnisvolle Weise über Nacht geleert wurden. Die Anspannung und das Misstrauen in der Gruppe war gewachsen, und ich war die Hauptverdächtige. Schließlich war ich die Neueste. Niemand wusste, wer ich war, wo ich herkam oder was ich vorhatte, und die Diebstähle hatten kurz nach meiner Ankunft mit Blue begonnen.
    Also hatte ein Typ namens Gray, der zu der Zeit so eine Art Anführer der Gruppe war, auf eigene Faust angefangen, Wache zu halten. Er war mitten in der Nacht aufgestanden und alle Schlingen und Fallen abgegangen, hatte die Lagerräume untersucht und sichergestellt, dass alle im Stützpunkt genau dort waren, wo sie sein sollten. Am zweiten Tag seiner Runde hatte er Tack dabei erwischt, wie er gerade ein Kaninchen aus einer unserer Fallen holte. Um es zu stehlen. Tack erstach Gray beim Versuch zu fliehen beinahe mit seinem Messer, aber er verfehlte die Brust und schnitt ihm nur ein Stück aus der Schulter. Gray gelang es, um Hilfe zu rufen und Tack zu Boden zu ringen. Seitdem war er unser Gefangener und alle hatten darüber diskutiert, was nun mit ihm geschehen sollte.
    »Willkommen in der Freiheit«, sagte er und spuckte aus. Direkt neben seine Füße auf den Boden. »Da hat jeder eine Meinung.«
    Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Blue zu. Grandma hatte mir gesagt, ich solle mein Herz nicht allzu sehr an sie hängen. So viele von ihnen kommen hier draußen nicht durch, hatte sie gesagt. Aber ich hing bereits an ihr. Von dem Moment an, als ich sie gefunden hatte; von dem Moment an, als ich das sanfte Pochen ihres Herzschlags unter ihren winzigen Rippen gespürt hatte. Ich wusste, dass sie zu mir gehörte – sie war meine Bestimmung, es war meine Pflicht, sie zu beschützen.
    Erst hatte sie kaum Milch von Mari angenommen, aber nach zwei Wochen trank sie besser und nahm langsam zu. Wenn Mari sie stillte, saß ich neben ihr, manchmal hatte ich einen Arm um Blue gelegt, als könnte ich sie aufsaugen. Oder als wäre ich diejenige, die den Lebenssaft durch meine Fingerspitzen hindurch in Blues Venen, Herz und Mund sandte. Ich hatte Blue immer bei mir. Grandma gab mir eine alte Babytrage, die vom vielen Waschen zu einem trüben und geschlechtslosen Grau ausgeblichen war, damit ich mir Blue vor die Brust schnallen konnte, wenn ich den anderen bei ihren Runden half.
    Aber dann war sie wieder krank geworden. Sie war unruhig und schlief nie länger als eine Viertelstunde am Stück. Dauernd lief ihr die Nase und am zweiten Tag hatte sie so starkes Fieber, dass ich die Hitze ihres Körpers schon spürte, als ich die Hand fünfzehn Zentimeter über ihre Brust hielt. Sie trank nicht mehr und weinte stundenlang. Alle sagten, es sei nur eine Erkältung und sie werde es schon überstehen.
    Drei Tage lang hatte ich mich durch einen dichten Nebel der Erschöpfung bewegt, eine gnadenlose Müdigkeit, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Nachts blieb ich wach und flüsterte ihr etwas zu, wiegte sie, auch wenn sie sich wehrte, und hielt sie mit feuchten Kleidern kühl. Wir waren beide ins Krankenzimmer gezogen. Tack war auch für eine Weile dort untergebracht worden, während sich die anderen Siedler im Hauptraum zusammengefunden hatten. Sie berieten darüber, ob man ihn freilassen und darauf vertrauen sollte, dass er uns nicht wieder bestehlen würde, oder ob er bestraft, vielleicht sogar getötet werden sollte.
    Die Gesetze der Wildnis waren auf ihre Art genauso streng wie die Gesetze jenseits des Zauns.
    Tack beobachtete mich, während ich mich über Blue beugte, ihr etwas zumurmelte und ihr den Schweiß von der Stirn wischte. Sie hatte aufgehört zu weinen. Ihre Augen waren halb geschlossen und sie rührte sich kaum, als ich sie anfasste. Ihre Atmung ging abgehackt und flach.
    »Das ist RSV«, sagte Tack plötzlich. »Sie
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