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Raumzeit - Provokation der Schoepfung

Raumzeit - Provokation der Schoepfung

Titel: Raumzeit - Provokation der Schoepfung
Autoren: Johannes von Buttlar
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Westseite der Agora, warten bereits Xenophon und der jugendliche Phaidon aus Elis.
    »Wir haben schon auf dich gewartet, Sokrates«, sagt Xenophon freudestrahlend. »Mit welchen Ideen wirst du uns heute wieder provozieren?«
    »Was heißt hier provozieren? Ich verhelfe doch lediglich eurem schon vorhandenen Wissen zur Geburt und dadurch lerne ich. Lasst uns heute über Wahrnehmung und Wirklichkeit diskutieren.«
    »Au weia, Platon, da kommt was auf uns zu!«, stößt Phaidon hervor und greift sich an die Stirn.
    »Kommt, wir setzen uns hier auf die Eingangsstufen des Tempels«, sagt Sokrates mit einer Handbewegung. Sie lassen sich auf den blank getretenen Marmorstufen nieder.
    »Was meinst du mit Wirklichkeit«, Platon blickt Sokrates fragend an.
    »Sag du mir, was du darunter verstehst«, antwortet dieser.
    »Ist doch klar! Alles, was wir sehen und anfassen können«, fällt Phaidon ihm ins Wort.
    »Alles, was wir sehen und anfassen? Bist du sicher? Bei den Grundelementen Feuer, Wasser, Erde haben wir ja auch die Luft. Kannst du die Luft sehen, Phaidon, kannst du sie anfassen?« Die Stimme von Sokrates klingt sanft.
    »Wir atmen doch die Luft«, argumentiert Xenophon. »Also ist sie wirklich.«
    »Das schon, aber kannst du sie sehen und anfassen? Du kannst sie fühlen. Hat also Wirklichkeit etwas mit Wahrnehmung, mit unseren Sinnesorganen zu tun?«
    Platon überlegt kurz: »Ich halte es hier mit Anaxagoras, denn Wirklichkeit hat etwas mit dem Dasein zu tun. Nach Anaxagoras gibt es unendlich viele Keime, die sich qualitativ voneinander unterscheiden, aber die Dinge entstehen aus gleichartigen Teilchen. Deswegen ist auch das Wesen der Dinge von gleicher Art.«
    »Und wie ist das mit den geistigen Ideen?«, bohrt Sokrates.
    »Sie sind nicht immateriell, sondern nur der feinste aller Stoffe«, zitiert Platon.
    »Und die Sonne sieht Anaxagoras als glühenden Stein, und der Mond sei eine bewohnte Welt.«
    »Und Anaxagoras ist wegen Gottlosigkeit aus Athen ausgewiesen worden.« Phaidon rückt näher.
    Sokrates wiegt bedauernd den Kopf. »Ja, es ist nicht ungefährlich, die Herrschaft der Vernunft zu propagieren. Was haltet ihr von Demokritos, unserem lachenden Philosophen aus Abdera? Ich schätze ihn außerordentlich.«
    Xenophon schaltet sich ein: »Für ihn gibt es nur die ewige Bewegung und das Nichts – den leeren Raum, in dem sich die kleinsten Bausteine, die Atome bewegen.«
    »Deren verschiedene Gestalt, Lage und Anordnung ist der Grund dafür, dass wir die Dinge unterschiedlich wahrnehmen«, vervollständigt Platon.
    »Das aber bringt uns zurück zur Wirklichkeit. Wir können den leeren Raum nicht sehen und anfassen. Wir können ihn auch nicht fühlen. Wie ist das mit den kleinsten Teilchen, Xenophon? Kannst du sie sehen, anfassen und fühlen?«
    »Nein, Sokrates, natürlich nicht! Es ist eine Modellvorstellung, …«
    »… die der Wirklichkeit, oder auch nicht, entsprechen kann. Stimmt ihr mir zu?« Sokrates blickt in die Runde. Inzwischen hat sich eine ganze Reihe von Jugendlichen um sie geschart. Sie lauschen gebannt der Diskussion.
    »Alkibiades, was für eine angenehme Überraschung, dich wieder hier zu sehen!« Sokrates und die anderen blicken auf die anmutige Gestalt mittleren Alters. Der Feldherr mit seinem edel geschnittenen Gesicht lacht: »Wie in alten Zeiten. Es ist so, als ob ich nie weg gewesen wäre!«
    »Ja, wir haben von deinen glänzenden Seesiegen in Abydos und Kyzikos gehört. Ganz Athen ist aufgeregt. Komm, setz dich zu uns«, fordert ihn Platon auf. »Du kommst genau zur richtigen Zeit, denn wir diskutieren über Wirklichkeit und Wahrnehmung.«
    »Das Nichts, Alkibiades. Vielleicht kannst du einen Beitrag leisten«, sagt Sokrates süffisant. »Ich verstehe diesen Begriff nicht, aber ich bin ja auch nur ein kleiner Steinmetz.«
    »Sokrates, wie kann man über etwas reden, das Nichts ist«, spottet Alkibiades und setzt sich zu ihnen.
    »Nein, es geht doch hier um Raum, um den leeren Raum, in dem sich alles befindet«, bemüht sich Phaidon um Ernsthaftigkeit.
    »Kann es das Nichts geben?«, fragt Sokrates den Xenophon, der sich interessiert vorgebeugt hat.
    »Nein, Sokrates, das Nichts ist offensichtlich ein Etwas.«
    »Also auch der leere Raum. Aber wir können ihn nicht sehen, nicht fühlen, nicht riechen, nicht schmecken und nicht hören. Und doch ist der Raum für uns wirklich. Folglich existieren Dinge, die unsere Sinnesorgane nicht erfassen. Das ist doch richtig, Platon, oder?« Platon
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