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Raumschiff der Generationen

Raumschiff der Generationen

Titel: Raumschiff der Generationen
Autoren: Klaus Fischer
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ärgerte sich sogleich darüber, daß er selbst wieder einmal keine Meinung hatte …
    Die Außenspur erreichte West-Süd-Knie und kam fast zum Stillstand. Dann nahm sie der gewaltige Lichthof der Verteilerstation auf, und während die Straßen einen abrupten Knick um neunzig Grad nach »unten« machte und sie die kontinuierlich wechselnden Schwerkraftfelder dabei festhielten, schien sich die Station mit allen, was sie in sich barg, um sie herum zu drehen.
    Marc hörte neben sich den Seufzer des Mädchens.
    Erging es ihr wie ihm selbst? War auch sie, genau wie er, immer wieder von neuem beeindruckt? Vielleicht – ja, ganz bestimmt war es die Ästhetik, die funktionale Schönheit, die von dieser gewaltigen, dynamischen Konstruktion dort ausging.
    Seit er die Filme im sozio-historischen Archiv gesehen hatte, wußte er erst, welche technische Entwicklung sich hatte vollziehen müssen, ehe ein solches Konstruktionswunder wie der Große Stern hatte verwirklicht werden können. Erst als es gelungen war, sich aus den Fesseln der stationären Gravitation zu befreien, als man es verstanden hatte, durch die Konstruktion von Spezialprojektoren die Richtung der Schwerkraftwirkung beliebig zu verändern, hatte man ein solches Projekt planen und in die Tat umsetzen können.
    Ungezählte Personen glitten tagtäglich in den Verteilerhof hinein, um über West-Süd-Knie oder Ost-Nord-Knie ihre Richtung nach unten, nach links oder nach rechts, also von der Horizontalen in die Vertikale zu wechseln oder umgekehrt. Gewiß, kaum eine Handvoll von ihnen verschwendete einen Gedanken daran, daß das Gefühl, man bewege sich in der Horizontalen, immer und ständig das gleiche blieb. Für jeden Schiffsgeborenen waren »links«, »rechts«, »unten« oder »oben« – genau wie »Bug« oder »Heck« – nichts als Richtungskriterien. Sie bezeichneten Bezugspunkte im SCHIFF. Daß »unten« und »oben« früher einmal schwerkraftbezogene Begriffe waren, die von einem unverrückbaren radialen Zentrum ausgingen, wußten nur die Älteren. Doch auch sie, meinte Marc, würden es bald vergessen …
    Als sie die Umleitungen hinter sich gelassen hatten und dem Terminal zustrebten, wo sie in den Rohrgleiter überwechseln würden, sagte Tanne – und Marc überlegte, welche Labyrinthe ihre Gedanken durcheilt haben mochten, während er der Technik seinen Tribut gezollt hatte:
    »Glaubst du, daß die Oppos zu einer Gefahr werden könnten, zu einer wirklichen Gefahr? Vater meint …«
    »Was?«
    »Seiner Ansicht nach übe der Senat eine unbegreifliche, ja geradezu verdächtige Nachsicht in diesem Punkt. Er meinte, als er noch dem Senat angehört habe, hätte man mit Leuten wie Carezzini oder der Valerija kurzen Prozeß gemacht.«
    Pinarossi, ein ehemaliger Senator! Marc dachte über diese Neuigkeit nach. Warum war er es heute nicht mehr?
    »Was meint er mit ›kurzem Prozeß‹?«
    Sie hob die Schultern. »Vielleicht Arbeitssperre oder so.«
    Wann war Pinarossi im Senat gewesen? Es mußte schon eine Zeitlang her sein. Hatten damals noch die astronautischen Offiziere die Geschicke des SCHIFFES gelenkt? Und was hatten sie unter einem »kurzen Prozeß« verstanden?
    Seine Gedanken kehrten aus der Sackgasse zurück, sprangen zu den Oppos. Ja, sie waren recht lästig geworden in letzter Zeit. Ihretwegen kam es immer wieder zu Verkehrsstörungen. Carezzinis Anhänger blockierten die Straßen, manchmal drangen sie in die Freizeitstätten, störten den Betrieb dort, belästigten die Erholungssuchenden in den Parks und in den Kom-Cafés oder schreckten die Rekonvaleszenten in den klinischen Gärten auf. Kürzlich erzwang die Valerija mit einer Gruppe Oppos sogar den Eintritt in die Kybernetische Fabrikation Nord, legte den Betrieb lahm und diskutierte mit der Belegschaft zwei Stunden lang Carezzinis Programm. Dabei stellte sich heraus, daß fast die Hälfte der Konstrukteure, Elektronologen, Analytiker und sonstigen Betriebsangehörigen bereits überzeugte Oppos waren.
    Ob die Oppos zu einer Gefahr werden konnten, hing zunächst einmal davon ab, was man sich unter dem Begriff »Gefahr« vorstellte. Verstand man darunter die Möglichkeit, den normalen Betrieb, den Alltag im SCHIFF, den lebensschützenden Kreislauf aufzuhalten, zu unterbrechen oder gar lahmzulegen, dann war dieses Wort angebracht. Doch glaubte Marc nicht, daß die Oppos im Ernst solche Pläne hatten, denn sie wußten: Fügten sie der Lebensmaschinerie des SCHIFFES Schaden zu, schädigten sie sich
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