Raumkapitän Sun Tarin
Sänfte getragen, und mindestens zwei Millionen Gläubige waren auf den Beinen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Die Luft war erfüllt von Liedern und Gebeten.
160 Jahre lebte dieser Raisa nun schon. Er war älter geworden als fast jeder andere Kridan in den vergangenen zehntausend Jahren. Seine bisherige Lebensspanne überschritt das normale Maß um ein Viertel. Viele sagten, dass es die Kraft Gottes war, die ihn so lange am Leben ließ, bis der permanente Krieg zumindest für eine Weile unterbrochen werden konnte. Aber wie wäre das möglich gewesen, solange unser schlimmster Feind sich nicht ergeben hatte?
Wie hätte das sein können, solange die gigantischen Mordmaschinen der Erdensöhne uns bedrohten und eine stete Verhöhnung der Göttlichen Ordnung zu sein schienen? Wie hätten wir es diesen Barbaren gestatten können, das auf den Tod eines Raisa regelmäßig folgende Interregnum auszunutzen, während dem der Heilige Krieg stets unterbrochen wurde?
Also war der Raisa zum Leben verdammt.
Er war kaum noch in der Lage, den Kopf alleine zu heben, wenn man ihn durch die Straßen trug. Seine Augen waren die meiste Zeit über geschlossen. Die Haut war ledern und faltig und wirkte wie ein zu groß geschnittenes Gewand, denn das Innere war längst dahingeschwunden. Seine Muskeln, das Fett – all das hatte er im Laufe der Zeit verloren. Es hieß, dass er kaum noch aß und manchmal tagelang in tiefer spiritueller Versenkung verbrachte.
Die Führung des Imperiums lag faktisch in den Händen der obersten Tanjaj und der Priesterschaft.
Beide Gruppen buhlten bereits um die Macht, als hätte das Interregnum bis zum Einsetzen eines neuen Raisa längst begonnen.
Solange der Krieg andauerte, war der militärische Oberbefehlshaber dabei natürlich im Vorteil. Er traf faktisch die alltäglichen Entscheidungen.
Und jedem, der die Bilder des hinfälligen Raisa noch in der Erinnerung bewahrt, wird klar, weshalb das Heilige Imperium so große Anstrengungen unternahm, die Menschheit schneller niederzukämpfen, als es unseren Fähigkeiten entsprach.
Bevor der Raisa endgültig die Augen schloss, sollte das nächste Etappenziel des permanenten Krieges erreicht sein.
Die Menschheit musste bis dahin unterworfen und ihr industrielles Potenzial dem Heiligen Krieg zugeführt werden.
Danach mochte sich dann eine mehr oder weniger lange Epoche der Konsolidierung anschließen. Eine Phase des Interregnums, in der im Übrigen die Macht der Priesterschaft umso mehr wuchs, je länger diese Kriegsunterbrechung andauerte.
Die Priesterschaft hatte dann nämlich alle Trümpfe in der Hand, denn sie bestimmte den Raisa – und den Zeitpunkt seiner Einsetzung. Und je weniger Entscheidungen auf militärischer Ebene gefällt werden mussten oder mit militärischen Erwägungen begründet werden konnten, desto mehr schmolz die Machtbasis der Tanjaj dahin.
Der Mar-Tanjaj empfing mich einige Zeit später persönlich. Das war etwas sehr Ungewöhnliches. Schließlich war ich nur einfacher Raumschiffkommandant, der im Übrigen nicht nur darauf wartete, dass sein Körper wieder einigermaßen hergestellt und einsatzfähig war, sondern auch ein neues Kommando in Aussicht hatte. Das Schiff, das ich kommandieren sollte, war geringfügig größer als die KAMPFKRALLE, hatte 150 Krieger Besatzung und mehrere sehr variabel einsetzbare Beiboote, die mit Graser-Geschützen ausgerüstet waren und sich hervorragend zur Durchführung von Kommandounternehmungen eigneten.
Allerdings war dieses Schiff noch nicht zur Gänze fertiggestellt, es trug auch noch keinen Namen, aber das war wohl das geringste Problem dabei. Unsere Werften arbeiteten auf Hochtouren, aber es war momentan unmöglich, in der Produktion mit der Zahl der durch Feindberührung zerstörten Einheiten mitzuhalten. So kam es immer wieder zu erheblichen Engpässen.
Der Mar-Tanjaj musterte mich mit seinen grauen Augen. Ich war ihm einmal begegnet – und das war, als ich in der großen Halle der Krieger, direkt neben dem Zentraltempel in Madanor gelegen, an der Vereidigungszeremonie für angehende Tanjaj teilnahm. Er vertrat damals im Grunde genommen den Raisa, der wohl gesundheitlich nicht in der Lage gewesen war, an dieser Feier teilzunehmen.
Da hatte ich ihn jedoch nur aus weiter Ferne gesehen.
Allerdings war sowohl die Anwesenheit des Raisa als auch jene des Mar-Tanjaj bei der Vereidigung eine Ausnahme, die nur wenigen Privilegierten zuteilwurde. Wahrscheinlich hatte es mit den
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