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Raum

Raum

Titel: Raum
Autoren: Emma Donoghue
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braunen Augen, der gleiche große Mund, das gleiche spitze Kinn …«
    Ich starre uns beide gleichzeitig an, und die uns in Spiegel glotzen zurück. »Aber die Nase ist nicht dieselbe.«
    »Im Moment hast du ja auch noch eine Kindernase.«
    Ich fasse sie an. »Fällt sie irgendwann ab, und mir wächst eine Erwachsenennase?«
    »Nein, nein, sie wird einfach nur größer. Das gleiche braune Haar …«
    »Aber meins geht runter in auf die Mitte von mir und deins nur bis an die Schulter.«
    »Stimmt«, sagt Ma und greift nach Zahnpasta. »Das ist, weil deine Zellen alle doppelt so lebendig sind wie meine.«
    Das wusste ich gar nicht, dass Dinge nur halb lebendig sein können. Ich gucke noch mal in Spiegel. Unsere Schlaf-T-Shirts sehen auch anders aus und unsere Unterhosen, ihre hat keine Bären drauf.
    Als sie zum zweiten Mal ausspuckt, heißt das, ich bin mit Zahnbürste dran, und ich schrubbe überall um meine Zähne rum. Mas Spucke in Spülbecken sieht jedenfalls kein bisschen wie meine aus. Ich spüle sie weg und mache ein grinsendes Vampirgesicht.
    »Arghhh.« Ma hält sich die Augen zu. »Deine Zähne sind so sauber, die blenden mich ja richtig.«
    Ihre eigenen sind ziemlich verfault, weil sie früher vergesst hat, sie zu putzen. Jetzt tut es ihr leid, und sie vergisst es auch nicht mehr, aber sie sind trotzdem verfault.
    Ich mache die Stühle platt und lehne sie neben Türe gegen Trockenständer. Der grummelt immer, dass kein Platz da wäre, aber wenn er sich nur ordentlich gerade hinstellt, ist genug da. Mich selbst kann ich auch platt machen, aber so platt nicht, wegen meinen Muskeln, ich bin nämlich am Leben. Türe ist aus einem glänzendem Zaubermetall. Nach neun, wenn ich in Schrank muss und ausschalten soll, macht er piep piep piep .
    Das gelbe Gesicht von Gott kommt heute nicht rein. Ma sagt, er schafft es nicht, sich durch den Schnee zu schieben.
    »Was ist Schnee?«
    »Sieh mal«, sagt sie und zeigt nach oben.
    Auf dem Deckel von Oberlicht ist es ein kleines bisschen hell, aber der Rest ist ganz dunkel. Im Fernsehen ist der Schnee weiß, in echt aber nicht, komisch. »Warum fällt er nicht auf uns drauf?«
    »Weil er draußen ist.«
    »Im Weltall? Ich wünschte, er wäre hier drinnen, damit ich mit ihm spielen kann.«
    »Aber dann würde er doch schmelzen, weil es hier drinnen so schön warm ist.« Ma fängt an zu summen, und ich rate sofort, das ist Let It Snow . Ich singe die zweite Strophe. Dann singe ich Winter Wonderland, und Ma singt in Oberstimme mit.
    Jeden Morgen haben wir tausend Sachen zu erledigen, zum Beispiel Pflanze Wasser zu geben, und zwar in Becken, damit nichts verschüttet. Dann stellen wir ihn wieder in seiner Untertasse auf Kommode. Früher hat Pflanze auf Tisch gewohnt, aber dann hat das Gesicht von Gott ihm ein Blatt abgebrannt. Neun hat er noch übrig, sie sind so breit wie meine Hand und haben oben drauf so einen Pelz. Wie Hunde, sagt Ma. Aber Hunde sind nur Fernseher. Neun mag ich nicht. Ich sehe, dass da noch ein kleines Blättchen kommt, das zählt als zehn.
    Spinne ist in echt. Ich habe sie schon zwei Mal gesehen. Jetzt suche ich sie, aber da ist nur ein Netz zwischen dem Bein von Tisch und ihrer Wohnung. Tisch kann gut im Gleichgewicht stehen, das ist gar nicht so einfach. Wenn ich auf einem Bein stehe, kann ich zwar superlange so stehen bleiben, aber irgendwann falle ich doch immer um. Ma erzähle ich nichts von Spinne. Sie macht nämlich immer die Netze weg, weil sie findet, die sind schmutzig, aber für mich sehen sie aus wie extra dünnes Silber. Ma mag nur die Tiere, die auf dem Naturplaneten rumlaufen und sich gegenseitig auffressen, die in echt aber nicht. Als ich vier war, habe ich mal Ameisen gesehen, die krabbelten Herd hoch. Da ist sie hingelaufen und hat alle erspritzt, damit sie nicht unser Essen essen. Gerade eben sind sie noch am Leben und im nächsten Moment nur noch Dreck. Ich habe so viel geweint, dass mir fast die Augen geschmolzen sind. Und ein anderes Mal war da in der Nacht so ein Ding, das hat bssssst bsssst bssssst gemacht und mich gebissen, und Ma hat es unter Regal gegen Türewand geklatscht, es war nämlich eine Mücke. Der Fleck auf dem Kork ist immer noch da, trotzdem sie geschrubbt hat, das war mein Blut, und die Mücke hat es gestohlen wie ein winziger Vampir. Es war das einzige Mal überhaupt, dass Blut aus mir rausgekommen ist.
    Ma nimmt aus einer Silberpackung mit 28 kleinen Raumschiffen eine Pille, dann nehme ich ein Vitamin aus der
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