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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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eine siebenunddreißigjährige Frau verschwunden. Wir haben ihr Handy gefunden. Weggeworfen auf einer Autobahnraststätte. Sie hatte ein Date mit einem ›Marcus R.‹, dessen Rechner in Ihrem Schlafzimmer steht. Ihre IP -Adresse wurde also verwendet, um mit dieser Frau besagtes Date zu vereinbaren, und Sie wissen angeblich nicht mehr, wo sie vorletzten Freitag waren. Damit unterschreibt mir jeder Richter einen Haftbefehl.«
    Ringier wurde bleich. »Ehrlich, Bulle. Ich hab nix damit zu tun.«
    »Dann dürfen wir also Ihren Rechner inspizieren?«
    Ringier tat das, was er für das Beste hielt. »Ja, dürfen Sie.«
    »Darf ich dann um das Passwort bitten?« Bender schob ihm einen Zettel und einen Kugelschreiber zu.
    Mürrisch schrieb Ringier das Passwort auf.
    Bender ging zurück ins Schlafzimmer. »Hier, Kollege.« Er gab dem Beamten der Spurensicherung den Zettel mit dem Passwort. Der Kollege tippte sofort wilde Befehlsfolgen in das Gerät.
    »Was tun Sie da?« fragte Bender.
    »Ich prüfe, ob dieser Rechner tatsächlich benutzt wurde, um die Kommunikation mit der Website zu führen.«
    »Das wissen wir doch schon durch die ID .«
    »Sicher ist sicher«, sagte der Mann. Wenig später nickte er. »Der Verlauf des Explorers wurde zwar gelöscht, das konnte ich aber wiederherstellen. Mit diesem Rechner wurde regelmäßig die besagte Website aufgerufen. Wann, wie oft und zu welcher Uhrzeit, ermittle ich im Labor.«
    Bender ging zurück ins Wohnzimmer und legte Ringier Handschellen an.
    »Mann, ich hab damit nichts zu tun.« Ringiers Stimme hatte all ihre Aggression verloren.
    »Da ist Ihr Computer aber anderer Meinung«, entgegnete Bender.
    »Scheiße, Mann. Ich weiß nichts von dieser fucking Website, nichts von einer Yvonne, ich weiß von gar nichts.«
    »Vor allem wissen Sie nicht, was Sie am Freitag, dem 1.   Juni, ab etwa siebzehn Uhr gemacht haben.«
    »Ich war zu Hause, vermutlich«, sagte Ringier. »Da bin ich meistens.«
    »Und Zeugen haben Sie dafür sicher auch.«
    »Nein«, gab Ringier tonlos zurück.
    »Wie wär’s dann mit einem Geständnis?«
    »Zum Mitschreiben: Ich habe nichts zu gestehen!«
    »Abführen«, sagte Bender. An Ringier gerichtet, fügte er hinzu: »Wir unterhalten uns morgen.«
    Bender wusste, dass die Gesprächsbereitschaft der meisten Menschen nach einer Nacht in Untersuchungshaft stark stieg. Und eines war ihm inzwischen auch so schmerzlich klar: Lebend würden sie Yvonne Neuber nicht mehr finden.
    * * *
    Der Himmel über München war so weiß-blau wie die Farben der Stadt. Die Sonne lachte, und gut gelaunt bestellte sich Dr.   Annegret Schleibohm bei der freundlichen Kellnerin im Café Roma an der Maximilianstraße ein Wasser. Sie warf einen flüchtigen Blick auf ihre Cartier. Es war Montagnachmittag, Viertel vor vier, und damit war sie fast fünfundvierzig Minuten zu früh dran.
    Sie war Wirtschaftsprüferin und sah auch so aus. Ihr Kostüm war so konservativ wie ihre Weltanschauung und ihre Frisur so eintönig wie ihr Privatleben. Letzteres gab es für die Neununddreißigjährige seit ihrer Studienzeit praktisch nicht mehr. Mit Disziplin, Ehrgeiz und ehernem Willen hatte sie ihr BWL -Studium in Rekordzeit als eine der Besten ihres Jahrgangs durchgezogen und nach nur weiteren achtzehn Monaten ihre Dissertation vorgelegt. Danach hatte sie als Assistentin bei einer der »Big Five«, einer der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, angefangen. Natürlich schaffte sie den Steuerberater und nach zwei weiteren Jahren auch die Prüfung zur Wirtschaftsprüferin mit Auszeichnung. Vor drei Jahren war sie dann Partnerin ihrer Gesellschaft geworden.
    Einen Mann oder gar Kinder hatte ihr Lebensentwurf bisher nicht vorgesehen. Das sollte jetzt aber anders werden. Sie hatte natürlich auch hier nichts dem Zufall überlassen wollen und war »Premium Member« bei DateYourLove.de geworden. Ein wenig schmunzelte sie schon bei dem Spruch, mit dem man dort warb: »Bei uns finden Akademiker und anspruchsvolle Singles den richtigen Partner.« Er klang ein wenig so, als wenn Akademiker wenig anspruchsvoll wären. Aber sie wusste ja, was die damit meinten.
    Und es hatte funktioniert. Nach nur wenigen Wochen hatte sie ihn gefunden: Tobias. Ein Rechtsanwalt in einer der führenden Münchener Kanzleien. Das war ganz wichtig, dass er ebenfalls einen Beruf hatte, der ihn ausfüllte. Nichts wäre schlimmer für sie, als einen Freund zu haben, der von ihr Zeit einforderte, die sie nicht hatte. Welche Kanzlei
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