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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jörg Gustmann
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Das Gegenteil von dem, was
sie erwartet hatten, ließ sie schaudern und jeden Gedanken an einen Ausstieg schnell
wieder vergessen oder wenigstens für eine Zeit verdrängen.

Kapitel 3
     
    Steinhöring, 18. August 1944
     
    Der Hauptmann in der schwarzen SS-Uniform
hielt eine Weile dem Anblick des Mädchens, das bewegungslos auf dem Bett lag, stand.
Schließlich wandte er sich abrupt ab.
    »Ich will
Dr. Reuter sprechen, sofort!«
    Sogleich
nickte die Schwester und lief los. Sie hielt ihre Haube fest, während sie zum Nebengebäude
rannte, um nach dem diensthabenden Arzt zu suchen. Gottlob erreichte sie Dr. Reuter
nach mehrfachem Rufen und aufdringlichem Schellen an seiner Wohnungstür. Immerhin
war Sonntag.
    Der Arzt
öffnete die Tür zunächst nur einen Spaltbreit, und man sah ihm an, dass er soeben
aus einem erholsamen Nachmittagsschlaf gerissen worden war. »Was ist denn, um Himmels
willen?« Reuter rückte die Nickelbrille auf der Nase zurecht und glättete die zerzausten
Haare. »Ist etwas passiert?«
    »So ungefähr.«
Die Schwester rieb sich die feuchten Hände. »Der Vater von Hedwig wünscht Sie umgehend
zu sprechen.«
    Sofort war
der Arzt hellwach. »Na schön, geben Sie mir zwei Minuten. Ich komme sofort.«
    Dr. Reuter
schloss die Tür, eilte ins Bad, warf sich kaltes Wasser ins Gesicht, frisierte sich
und zog seinen gestärkten weißen Kittel über. Ein silbereloxiertes Schild mit seinem
vollen Namen und Titel prangte über der linken Brusttasche. Er eilte die Treppe
zu Schwester Hildegard hinunter, die auf ihn gewartet hatte. Sie fürchtete sich,
allein zurückzugehen, und war dankbar, dass der Arzt Wort gehalten und sich beeilt
hatte. Als sie außer Atem im Gemeinschaftszimmer der Mädchen angekommen waren, hatte
der Vater einen gewissen Abstand zu dem Kind eingenommen, das noch immer unbeweglich
auf dem Bett verharrte. Er stand da und hatte die Arme derart fest um seinen Körper
geschlungen, als wolle er die zerfallende Ordnung in seinem Inneren mit den Händen
zusammenhalten. Obwohl er es gewohnt war, Soldaten zu befehligen, fühlte er sich
aufs Äußerste unbehaglich. Kaum erblickte er Dr. Reuter, drehte er sich zu ihm um
und schritt ihm entgegen. Er schien froh zu sein, keine Minute länger als nötig
allein in der Anwesenheit des Kindes verbringen zu müssen, obgleich es als sein
eigenes galt. »Ich wünsche eine Erklärung, Doktor. Was geht hier vor?« Der Kommandant
fingerte fahrig an seinem Schnurrbart herum.
    »Bitte beruhigen
Sie sich. Hin und wieder kommt so etwas vor.«
    Der Offizier
berührte nun seine Stirn und sein Haar, das mit einem Scheitel versehen war, präzise
gezogen wie mit einem Lineal. Er schnellte zu dem Doktor vor und trat dicht an sein
Gesicht heran. Seine Tritte hallten kalt auf dem Boden. »Wollen Sie mich beleidigen?
Ich bin Deutscher arischer Herkunft. Da kommt so etwas nicht vor!« Der Besucher
musterte erneut das Kind. Es war ein zorniger Blick, der das Kind traf, als könnten
Blicke gemeinhin etwas ausrichten.
    Dr. Reuter
wiegelte ab. »Aber nein, ganz sicher nicht. So war das nicht gemeint. Ich wollte
sagen, das kommt schon mal vor, wenn die Mutter eines Kindes bei der Geburt verstirbt
und das Kind somit ohne seine Mutter aufwächst.« Der Besucher blickte an Reuter
vorbei und nickte. Diese Erklärung schien ihm zu gefallen. Es lag ganz sicher nicht
daran, dass das Kind ohne seinen Vater aufwachsen musste und es sich daher so merkwürdig
benahm.
    »Kann ich
Sie unter vier Augen sprechen, Doktor?«
    Dr. Reuter
knöpfte seinen Kittel bis zum Hals zu, als stünde eine ernste Patientenuntersuchung
an.
    »Schwester
Hildegard, wären Sie so freundlich, in der Küche nach dem Rechten zu sehen?«
    Sofort war
die Schwester aus dem Zimmer verschwunden, doch sie verbarg sich hinter der Tür,
wo sie den Worten der Männer lauschen konnte. Ein gefährliches, sogar lebensgefährliches
Unterfangen, dessen sie sich nicht bewusst war. Was sie antrieb zu bleiben, war
die Zuneigung zu dem Mädchen.
    »Hören Sie,
Doktor, es ist mir gleichgültig, wie Sie es anstellen, aber wenn der Zustand des
Kindes dem Reichsführer SS zu Ohren kommt, haben Sie und ich die größten Schwierigkeiten.
Das dürfte Ihnen klar sein. Es ist ja nicht so, als würde etwas mit meinem Erbgut nicht stimmen. Der andere Junge, für den ich als Zeugungshelfer dienen konnte,
und mein Sohn Heinrich, den ich mit meiner Frau gezeugt habe, sind wohlauf und gedeihen
prächtig. Sie sind blond, haben strahlend blaue Augen
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