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RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

Titel: RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Autoren: John Carlin , Rafael Nadal
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komplizierter Plan. Er ist so einfach, dass man ihn nicht einmal als Taktik bezeichnen kann. Ich spiele den Schlag, der für mich am einfachsten ist, und er muss den Schlag spielen, der für ihn schwieriger ist – mein Topspin mit links in seine Rückhand mit rechts. Es geht nur darum, sich an diesen Plan zu halten. Bei Federer muss man ständig auf die Rückhand zielen, ihn dazu bringen, den Ball hoch zu spielen, mit dem Schläger in Halshöhe zu gehen, ihn unter Druck setzen und müde machen. Kerben in sein Spiel und seine Moral schlagen. Ihn frustrieren, an den Rand der Verzweiflung treiben, soweit man kann. Und wenn er gut spielt, den Ball tief zurückschlägt, musst du ihm das Gefühl vermitteln, dass er diesen Ballwechsel zwei, drei, vier Mal wiederholen muss, um auch nur ein 15:0 zu erreichen.
    Nur daran dachte ich, soweit in diesem Moment von Denken überhaupt die Rede sein konnte, als ich dasaß und an meinen Schlägern, Socken und Handbandagen herumfingerte, während Musik meinen Kopf ausfüllte und ich auf das Ende des Regens wartete. Schließlich kam ein Offizieller im Blazer herein und teilte uns mit, dass es an der Zeit sei. Sofort sprang ich auf, ließ die Schultern kreisen, drehte meinen Kopf von einer Seite auf die andere und sprintete zweimal von einem Ende der Umkleidekabine zum anderen.
    Meine Tasche sollte ich nun einem Gehilfen übergeben, der sie an meinen Platz tragen würde. Das gehört zum Protokoll beim Wimbledonfinale und ist sonst nirgendwo üblich. Mir gefällt es nicht. Es stört meine Routine. Ich gab ihm die Tasche, nahm aber einen Schläger heraus. Den Schläger fest in der Hand ging ich als Erster aus der Umkleidekabine, durch Korridore mit Fotos von früheren Champions und Trophäen in Glasvitrinen. Ich stieg einige Treppen hinunter und trat hinaus in die kühle englische Juliluft auf dem wunderbar grünen Centre Court.
    Ich setzte mich, zog meine weiße Trainingsjacke aus und trank einen Schluck Wasser aus einer Flasche und einen zweiten aus einer anderen Flasche. Diese Abfolge behalte ich von Spielbeginn an über alle Pausen bis zum Ende des Matchs bei. Ich trinke zuerst aus der einen, dann aus der anderen Flasche und stelle sie anschließend links vor meinen Stuhl, fein säuberlich hintereinander, diagonal auf den Platz ausgerichtet. Manche bezeichnen es als Aberglauben, aber das ist es nicht. Wenn ein Aberglaube dahinter stünde, warum sollte ich es dann tun, ganz gleich, ob ich gewinne oder verliere? Es ist ein Mittel, mich auf das Match zu konzentrieren und meine Umgebung in die Ordnung zu bringen, die ich im Kopf anstrebe.
    Federer und der Schiedsrichter standen am Fuß des Schiedsrichterstuhls und warteten auf den Münzwurf. Ich sprang auf, stellte mich Federer gegenüber auf die andere Seite des Netzes, lief und hüpfte kraftvoll auf der Stelle. Federer stand still; er ist immer wesentlich entspannter als ich, zumindest äußerlich.
    Der letzte Teil meines Rituals, der ebenso wichtig war wie alle vorherigen Vorbereitungen, bestand darin, den Blick über das Stadion schweifen zu lassen, meine Familie in der Zuschauermenge auf dem Centre Court zu suchen und mir genau einzuprägen, wo sie saßen: links von mir am anderen Ende des Platzes sah ich meinen Vater, meine Mutter und mein Onkel Toni; diagonal ihnen gegenüber, hinter meiner rechten Schulter, saßen meine Schwester, drei meiner Großeltern, ein Onkel und eine Tante, die zugleich meine Paten sind, und ein weiterer Onkel. Während des Matchs lasse ich keinen Gedanken an sie zu – solange ich spiele erlaube ich mir nie auch nur ein Lächeln –, aber zu wissen, dass sie wie immer da sind, verleiht mir die innere Ruhe, auf der mein Erfolg beruht. Während des Spiels umgebe ich mich mit einer Mauer, aber meine Familie ist der Mörtel, der diese Mauer zusammenhält.
    Außerdem hielt ich in der Menge Ausschau nach meinem Team, nach den Fachleuten, die ich beschäftigte: Neben meinen Eltern und Toni saßen mein Agent und guter Freund Carlos Costa; mein Pressesprecher Benito Pérez; mein Betreuer bei Nike, Jordi Robert, den ich »Tuts« nenne; und Titín, der mich von allen am besten kennt und für mich wie ein Bruder ist. Vor meinem inneren Auge sah ich auch meinen Großvater väterlicherseits und meine Freundin María Francesca, die ich Mary nenne, das Match zu Hause in Manacor vor dem Fernseher verfolgen, und zwei weitere Mitglieder meines Teams, die zwar nicht da waren, aber nicht minder großen Anteil an meinem Erfolg
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