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RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

Titel: RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Autoren: John Carlin , Rafael Nadal
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oben zeigte mir, dass die Wolkendecke an einigen Stellen aufriss. Überwiegend war der Himmel jedoch bedeckt, und am Horizont dräuten dicke, dunkle Wolken. In drei Stunden sollte das Match anfangen, es war aber durchaus damit zu rechnen, dass es erst verspätet beginnen könnte oder unterbrochen werden müsste. Davon ließ ich mich jedoch nicht beunruhigen. Dieses Mal wollte ich mit klarem Kopf hoch konzentriert sein, was auch geschehen mochte. Keinerlei Ablenkungen. Ich würde nicht zulassen, dass sich mein Konzentrationsmangel von 2007 wiederholte.
    Gegen 11.30 Uhr verließen wir Court 17 und gingen in die Umkleidekabine des All England Club, die für die Top-Spieler reserviert war. Sie ist nicht sonderlich groß, entspricht in ihrer Grundfläche vielleicht einem Viertel eines Tennisplatzes, aber die Tradition dieses Ortes verleiht ihr eine besondere Größe: die Holzvertäfelung, die Wimbledonfarben Grün und Purpur an den Wänden, der Teppichboden und das Wissen, dass sich schon so viele große Tennisspieler hier aufgehalten haben – Rod Laver, Björn Borg, John McEnroe, Jimmy Connors, Pete Sampras. Normalerweise herrschte hier reger Betrieb, aber da nur noch wir beide im Turnier standen, war ich allein. Federer war noch nicht aufgetaucht. Ich duschte, zog mich um und ging die Treppe hinauf, um in der Spielerkantine zu Mittag zu essen. Auch hier war es ungewöhnlich ruhig, was mir sehr recht war. Ich zog mich in mich zurück, isolierte mich von meiner Umgebung, vertiefte mich in die – unabänderliche – Routine, der ich vor jedem Match bis zum Spielbeginn folge. Zu Mittag aß ich das Übliche: Pasta ohne Soße – nichts, was Verdauungsprobleme verursachen könnte – mit Olivenöl und Salz und ein einfaches Stückchen Fisch. Dazu trank ich Wasser. Toni und Titín saßen mit mir am Tisch. Toni brütete vor sich hin. Aber das war nichts Neues. Titín war gelassen. Mit ihm verbringe ich die meiste Zeit, und er ist immer gelassen. Wir redeten nicht viel. Toni schimpfte, glaube ich, über das Wetter, aber ich sagte nichts. Auch wenn ich kein Turnier spiele, höre ich mehr zu, als ich rede.
    Um 13 Uhr, eine Stunde vor Spielbeginn, gingen wir wieder in die Umkleidekabine. Beim Tennis teilt man sich selbst bei den bedeutendsten Turnieren eine Umkleidekabine mit seinem Gegner, was eher ungewöhnlich ist. Als ich vom Essen kam, saß Federer auf seinem üblichen Platz auf der Holzbank. Da wir daran gewöhnt waren, brachte die Situation uns nicht in Verlegenheit. Zumindest mich nicht. Bald würden wir alles nur Mögliche tun, um den anderen im wichtigsten Match des Jahres zu besiegen, aber wir waren nicht nur Rivalen, sondern auch Freunde. Andere sportliche Rivalen hassen sich vielleicht aus tiefster Seele, auch wenn sie nicht gegeneinander spielen. Bei uns ist das nicht der Fall. Wir mögen uns. Mit Spielbeginn oder schon kurz zuvor schieben wir allerdings die Freundschaft beiseite. Das ist nichts Persönliches. So halte ich es mit jedem in meiner Umgebung, selbst mit meiner Familie. Sobald ein Spiel beginnt, bin ich nicht mehr so wie sonst. Ich versuche, eine Tennismaschine zu werden, auch wenn das letztlich unmöglich ist. Ich bin kein Roboter; Perfektion ist im Tennis nicht möglich, und die Herausforderung besteht darin, seine Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Während eines Matchs führt man einen ständigen Kampf gegen die eigenen Schwächen und unterdrückt seine menschlichen Gefühle. Je besser du sie unterdrücken kannst, umso höher sind die Siegchancen, sofern du ebenso hart trainiert hast, wie du spielst, und beim Talent zwischen dir und deinem Gegner kein allzu großes Gefälle besteht. Zwischen Federer und mir gab es zwar einen Unterschied beim Talent, aber er war nicht unüberbrückbar groß. Selbst bei seinem Lieblingsbelag im Turnier, auf dem er am besten spielte, war er gering genug, dass ich ihn schlagen konnte, wenn ich die Zweifel, Ängste und überzogenen Hoffnungen in meinem Kopf besser unterdrücken konnte als er. Du musst dich mit einem Schutzschild umgeben, dich in einen unblutigen Kämpfer verwandeln. Es ist eine Art Selbsthypnose, ein todernstes Spiel, das du mit dir treibst, um deine eigenen Schwächen vor dir selbst ebenso wie vor deinem Rivalen zu verbergen.
    In der Umkleidekabine mit Federer über Fußball zu plaudern oder zu scherzen, wie wir es vor Exhibition Matchs machten, wäre ein Verstellen gewesen, das er sofort durchschaut und als Zeichen der Angst interpretiert hätte.
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