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RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

Titel: RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Autoren: John Carlin , Rafael Nadal
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geschliffenen und mühelos Überlegenen.
    Während Nadal mit seinen kräftigen Oberarmmuskeln wie der Inbegriff unbändiger Kraft wirkte, war der schlanke, geschmeidige – 27jährige – Federer ganz natürliche Anmut. Nadal, gerade 22 Jahre alt, war der wild entschlossene Angreifer, Federer der Aristokrat, der auf den Platz schlenderte und der Menge lässig zuwinkte, als gehöre ihm Wimbledon und als begrüße er Gäste bei einer privaten Gartenparty.
    Federers geistesabwesendes, fast schon herablassendes Auftreten beim Einschlagen vor dem Match ließ kaum vermuten, dass diese Begegnung als Kampf der Titanen beworben wurde. Dagegen wirkte Nadals donnernde Eindringlichkeit wie die Karikatur eines Playstation-Actionhelden. Nadal schlägt seine Vorhand, als ob er ein Gewehr abfeuern würde. Er spannt eine imaginäre Waffe, visiert das Ziel an und drückt den Abzug. Bei Federer – dessen Name »Federhändler« bedeutet – ist kein Zögern zu spüren, kein Mechanismus erkennbar. Alles bei ihm ist ungezwungen fließend. Nadal (sein Name bedeutet in Katalan oder Mallorquinisch »Weihnachten«, was überschwänglichere Assoziationen weckt als »Federhändler«) war der superfitte Sportler der modernen Zeit, der es aus eigener Kraft nach oben geschafft hatte; Federer entsprach einem Typ aus den 1920erJahren, als Tennis ein Zeitvertreib der Oberschicht war, mit dem Gentlemen sich nach dem Nachmittagstee Bewegung verschafften.
    So sah es zumindest die Welt. Was Federer sah, war dagegen ein Zähne fletschender Prätendent auf seinen Königsthron im Tennissport, ein junger Mann, der ihn in seinem Streben stoppen wollte, die Rekordserie von sechs Wimbledonsiegen in Folge zu schaffen, und der vorhatte, ihn vom ersten Weltranglistenplatz zu verdrängen, den er seit vier Jahren innehatte. Vor dem Match in der Umkleidekabine musste Nadal auf Federer schlichtweg einschüchternd gewirkt haben, wenn er nicht »aus Stein war«, wie Nadals Co-Trainer, Francis Roig, meinte.
    »In dem Moment, in dem er vom Massagetisch aufsteht, nachdem Maymó ihn fertig bandagiert hat, wirkt er auf seine Gegner beängstigend«, erklärt der ehemalige Tennisprofi Roig. »Allein schon, wie er sein Stirnband bindet, ist so beängstigend eindringlich; seine Augen sind in weite Ferne gerichtet und scheinen nichts um ihn herum wahrzunehmen. Dann atmet er plötzlich tief durch, erwacht schlagartig zum Leben, hüpft kräftig auf der Stelle und schreit, als ob er völlig vergessen hätte, dass sein Gegner nur wenige Schritte entfernt im selben Raum ist: ›Vamos! Vamos!‹ Das hat etwas Animalisches. Der andere Spieler mag in seine eigenen Gedanken versunken sein, kann aber gar nicht umhin, einen verstohlenen Blick zu ihm hinüberzuwerfen – das habe ich immer wieder gesehen –, und er denkt sicher: ›Mein Gott! Das ist Nadal, der um jeden Punkt kämpft, als ob es sein letzter wäre. Heute muss ich voll auf der Höhe meines Spiels sein, ich muss den Tag meines Lebens haben. Und zwar nicht, um zu gewinnen, sondern um auch nur eine Chance zu haben‹.«
    Nach Roigs Ansicht ist dieses Auftreten umso eindrucksvoller, als zwischen Nadal, dem Wettkämpfer »mit dem besonderen Etwas, das wahre Champions haben«, und dem Privatmann Nadal eine tiefe Kluft besteht. »Du weißt, dass ein Teil von ihm ein nervliches Wrack ist, du weißt, dass er im Alltag ein ganz normaler Bursche ist – ein durch und durch anständiger, netter Kerl –, der unsicher und voller Ängste sein kann, aber wenn du ihn da in der Umkleidekabine siehst, verwandelt er sich plötzlich vor deinen Augen in einen Eroberer.«
    Aber der Rafael, den seine Familie aus der Umkleidekabine auf den Centre Court kommen sah, war weder ein Eroberer noch ein Axt schwingender Gladiator oder Kampfstier. Sie hatten Angst um ihn. Sie wussten, dass er brillant und mutig war, und auch wenn sie es niemals zugeben würden, hatten sie ein bisschen Ehrfurcht vor ihm, aber das, was sie kurz vor Beginn des Wettkampfs sahen, war etwas völlig anderes: nämlich ein zerbrechlicher Mensch.
    Rafael Maymó ist Nadals Schatten, sein engster Gefährte im zermürbend langen globalen Tenniszirkus. Der 33jährige, adrette, gepflegte Mallorquiner aus Nadals Heimatstadt Manacor ist kleiner als sein 1,85 Meter großer Freund und Arbeitgeber, diskret, gewieft und gelassen. Seit September 2006 betreut er Nadal als Physiotherapeut und hat zu ihm eine fast schon telepathische Beziehung entwickelt. Die beiden verstehen sich praktisch ohne
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