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Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)

Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)

Titel: Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Autoren: Maya Shepherd
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ist zwecklos, sich dagegen zu wehren.
     
    Nach meiner Schicht in der Nahrungsvergabe schreite ich durch das Atrium mit seinen bunten Bildern. Heute zeigen sie einen Wald mit Vögeln in den Ästen der Bäume und Rehe, die hier und da hinter einem Baum hervorschauen. Früher hätten mich diese Bilder beeindruckt und ich wäre stehen geblieben, um sie zu bewundern. Doch wer nur einmal in seinem Leben einen echten Wald mit eigenen Augen gesehen hat, wird in den Bildern des Atriums nicht mehr sehen als das, was sie sind. Bilder. Kein Bild kann die Emotionen hervorrufen, die einen in der Wirklichkeit überfluten. Weder ist der Geruch des von Moos überwucherten Bodens zu riechen, noch ist der Wind, der durch die Blätter weht, zu hören. Es fehlt das Knirschen unter den Füßen bei jedem Schritt. Deshalb bleibe ich heute nicht stehen, weil ich beeindruckt bin, sondern, weil es mir davor graut, alleine in meiner Zelle zu sitzen. Die ganze Sicherheitszone ist nichts anderes als ein Gefängnis. Es gibt weder Fenster noch Türen, die sich ohne Anweisung der Legionsführer öffnen ließen.
    Während die anderen Menschen eilig an mir vorbeihasten, halte ich Ausschau nach einem bekannten Gesicht. Wenn ich schon Zoe nicht finden kann, dann vielleicht wenigstens C515. Es wäre tröstlich, so etwas wie ein Wiedererkennen in seinen Augen zu sehen. Doch auch ihn kann ich unter den wenigen anwesenden Kämpfern nicht erkennen. Wann wird sich der Kontaktmann der Rebellen wohl bei mir melden? Ich hatte immer angenommen, dass er der C-Klassifizierung angehören müsse. Aber selbst wenn er sich meldet, was soll ich ihm sagen? Wie werden die Rebellen reagieren, wenn sie hören, dass ich es nicht unter die Legionsführer geschafft habe und sogar Zoe verschwunden ist? Wie wird Finn reagieren? Wird er eventuell etwas Dummes tun und das Gebäude versuchen im Alleingang zu stürmen?
    Oder ist das vielleicht der Grund, warum sich bisher niemand bei mir gemeldet hat? Weiß der Kontaktmann bereits, dass meine Mission erfolglos war, und meldet sich deshalb erst gar nicht bei mir? Bin ich den Rebellen jetzt, wo ich nutzlos für sie geworden bin, egal?
     
    Zurück in meinem Zimmer, lege ich mich in meinem Anzug flach auf das Bett. Ich weiß, dass ich ihn eigentlich in die Wäschekammer legen und mein Nachthemd anziehen müsste, doch dazu fehlt mir die Kraft. Ich habe nicht hart gearbeitet, so wie ich es täglich bei den Rebellen musste. Im Grunde habe ich sogar das Gefühl, den ganzen Tag nichts getan zu haben, trotzdem fühle ich mich vollkommen erledigt. Ich weiß einfach nicht, was ich jetzt tun soll. Ich hatte mir fest vorgenommen, mich anzupassen, denn es gab ein Ziel, für das es sich zu kämpfen gelohnt hatte. Die Legionsführer sollten glauben, dass mir die Rebellen nichts bedeuten. Sie sollten glauben, dass ich eine von ihnen bin. Doch ich bin genauso nutzlos für sie wie für die Rebellen. Niemand braucht mich. Warum sollte ich dann noch länger stark sein? Was macht es noch für einen Sinn, die Fassade weiter aufrechtzuerhalten?
    Ich spüre, wie mir die Tränen heiß die Wangen hinunterrinnen. Mein Blick gleitet zu der Kamera in der rechten Ecke meiner Zelle. Tränen sind verboten. Doch was soll mir noch passieren? Wie sollten sie mich mehr bestrafen als jetzt? Selbst wenn sie mich foltern würden, wäre es besser als das. Unter Folter hätte ich wenigstens das Gefühl, für etwas zu leiden, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich könnte mir einreden, etwas Ehrenhaftes zu tun. Aber mich zurück in mein altes Leben zu stecken und so zu tun, als wäre nie etwas passiert, ist das Schlimmste, was sie mir antun konnten. Deshalb ist es mir in diesem Moment egal, wer meine Tränen sieht.
     
    Die Tage ziehen an mir vorbei, ohne dass sich irgendetwas an meiner Situation ändert. Ob ich es nun will oder nicht, beginne ich, mich anzupassen. Ich tue genau das, was die Legion von mir erwartet, mehr als je zuvor. Ich erfülle meine Aufgaben, ohne dabei über ihren Sinn nachzudenken. Jedes Aufkommen von Gefühlen dränge ich zurück. Sie machen mich nur schwach. Gefühle haben in dieser Welt keinen Platz. Gefühle sind etwas für Menschen, die es sich leisten können, Hoffnungen und Träume zu haben. Eine Aussicht auf Veränderung. Aber nicht für mich. Cleo ist an dem Tag so gut wie gestorben, an dem sie Finn verließ. Ihr Lebenslicht flackert nur noch schwach, wie die Flamme einer erlöschenden Kerze, in meinem Inneren. Sie lebt von den Erinnerungen,
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