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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Autoren: Fabio Bartolomei
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Wir bleiben allein zurück, unter Brüdern, die sich kaum kennen. Wir trinken, reden über dies und das und tun so, als sei es trotzdem ein netter Abend. Hin und wieder klingelt Alvaros Telefon, und wir verstummen schlagartig.
    »Wieso, nicht einmal für fünf Minuten?«, bettelt Alvaro.
    Gegen Mitternacht, die Türklingel ist schon seit Stunden stumm, werden die Gesprächspausen immer länger und peinlicher. Sogar Alvaro, der sich schwer ins Zeug gelegt hat, um Leben in die Bude zu bringen, zeigt erste Ermüdungserscheinungen. Er geht zum Regal neben dem Fernsehapparat und zieht eine DVD heraus.
    »Seht mal, was ich hier habe«, sagt er zu uns.
    »Was? Ist das die Letzte?«, brüllt Michelone.
    »Los, Jungs, wir spielen abwechselnd. Erste Liga. Im K.o.-Verfahren!«
    »Hättest du nicht früher mit der DVD rausrücken können?«, frage ich.
    »Flachbildschirm, sechsunddreißig Zoll, eine Augenweide. Besser als im Stadion!«
    Wir stellen uns im Kreis auf und fangen an, die Begegnungen auszulosen. Genau beim Anpfiff zur ersten Partie klingelt es an der Tür.
    »Los, Jungs, macht aus«, zischt Alvaro.
    Er geht zur Sprechanlage und dreht auf dem Weg dorthin die Stereoanlage lauter. Dann nimmt er den Hörer und brüllt hinein: »Dritter Stock!«
    Schweigen … Wir lassen Alvaro nicht aus den Augen und versuchen, seine Miene zu entschlüsseln.
    »Äh … sicher … sofort«, sagt er.
    »Wer ist es?«, frage ich.
    Alvaro zeigt deutliche Anzeichen von Verzweiflung und wirft mir einen schiefen Blick zu.
    »Ein Typ, der dir den Arsch aufreißt, wenn du nicht gleich hinuntergehst und deine Kiste wegfährst.«

Diego
    Paare wie dieses sind ist mir die liebsten. Er ist um die fünfunddreißig, geschniegelt, pseudo-lässig, sie noch keine dreißig und macht kleidungstechnisch einen auf Sozialfall – wären da nicht ihre achthundert Euro teuren Accessoires. Er umkreist gerade eine Geländelimousine von der nutzlosesten Variante. Ein Geschoss aus fünf Metern Stahl und Aluminium, absolut ungeeignet für die Stadt, sechs Zylinder, dreihundert PS . Überflüssig von hinten bis vorn, taugt es lediglich als Benzinfresser. Aber es hat drei zusätzliche Gänge, um mühelos jeden noch so vertrackten Parkplatz auf dem Gehsteig zu bewältigen. Aber dass dieser SUV derart das Interesse des Kunden erregt, liegt nur an der Beleuchtung. Ich habe die Leuchtkörper und Spots nach psychologischen Aspekten neu montieren lassen. So spiegeln sich die vorbeifahrenden Autos in den Seitentüren des Wagens und verleihen dem Gefährt eine unheimliche Dynamik. Eine schlichte optische Täuschung mit Sogwirkung, die jeden unwiderstehlich in den Autosalon zieht.
    Fasziniert wie ein kleiner Junge vor der Weihnachtskrippe, starrt er auf den SUV . Sie hält sich kritisch abseits und scheint sich die Frage zu stellen, wie vielen Polarbären dieser Marotte wegen wohl die Eisschollen unter den Pfoten wegschmelzen werden, ohne sich jedoch Gedanken über ihre Treter aus feinstem Kalbsleder zu machen.
    Ich nähere mich dem Paar, öffne vor ihm die Autotür und trete aufmunternd einen Schritt zur Seite.
    »Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich«, sage ich.
    »Danke«, erwidert er. Hätten sich die Schenkel eines Models geöffnet, hätte er nicht gieriger starren können.
    Folgender Grundsatz gilt für alle Autotypen: Neunzig Prozent des Verkaufserfolgs hängen davon ab, ob man es schafft, den Kunden im Wageninnern Platz nehmen zu lassen. Der Geruch des Neuen, dieses undefinierbare künstliche Aroma aus Silikon und Benzol, ist eine veritable Droge – der Duft der Eroberung. Der Geruch wird bald verflogen sein, aber bis dahin kann ihm keiner widerstehen. Den SUV s wurde zudem noch eine andere Falle eingebaut: Sie sind hoch. Sitzt man erst einmal an Bord, beherrscht man die Welt und hält sich für den Größten. Sieh an. Auch dieser Kunde grinst selig und denkt sich: Was bin ich doch für ein toller Hecht! Er umfasst das Steuer, atmet tief ein, lässt den Blick schweifen und stellt sich die langen Gesichter seiner Freunde vor, wenn er damit vor der Bar im Zentrum von Rom vorfährt. Der Knabe ist versorgt. Jetzt ist es Zeit, sich um die Lady zu kümmern. Sie ist die harte Nuss, die es zu knacken gilt. Ich nähere mich ihr beiläufig und tue so, als wollte ich die Broschüren sortieren.
    »Ein schöner Wagen, nicht wahr?«, sage ich.
    »Schön schon … aber vollkommen überflüssig.«
    Ich zaubere einen Ausdruck amüsierter Überraschung auf mein Gesicht.
    »Wozu sind
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