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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom
Autoren: Die Unperfekten
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Tropfen Campari
unter den Eiswaffeln. Leo, ihr Mann, saß ihr gegenüber und versteckte sich
hinter einer italienischen Zeitung. Sie langte über den Marmortisch und klopfte
an das Papier, als wäre es die Tür zu seinem Arbeitszimmer.
    »Jaaa, Liebes«, bellte er. Die
Mauer aus Gedrucktem machte ihn völlig unempfänglich für die Tatsache, dass er
an einem öffentlichen Ort saß und dass lautstarkes Ehegeplänkel von aller Welt
mitgehört wurde; nach all den Jahren in Rom ging er immer noch davon aus, dass
auf der anderen Seite des Ozeans sowieso kein Mensch Englisch verstand.
    »Keine Spur von Ott«, sagte
sie.
    »Wohl wahr.«
    »Trinkst du noch was?«
    »Jaaa, Liebes.« Er gab seiner
hohlen Hand einen Schmatzer, warf ihn ihr zu wie eine Granate und folgte
seiner Flugbahn mit den Augen hoch über den Tisch bis wieder hinunter auf ihre
Wange. » Volltreffer«, verkündete er und verschwand wieder hinter den
Zeitungsseiten. »Die sind doch alle so dumm!«, sagte er, freudig erregt von den
vielen wunderbaren Chaosmeldungen. »Unglaublich dumm!«
    Betty hob den Arm und suchte
nach einem Kellner, und dann sah sie Ott. Er saß einfach an der Bar und
beobachtete sie. Betty ließ die Hand sinken, warf den Kopf zurück und fragte
nur mit den Lippen:» Was machst du denn da drüben?« Kleine Muskeln in ihren
Mundwinkeln verzogen ihre Lippen zu einem Lächeln, dann wieder abwärts, dann
wieder hoch.
    Ott blieb noch einen
Augenblick auf seinem Beobachtungsposten, dann stand er von seinem Barhocker
auf und kam an den Tisch im hinteren Teil.
    Er hatte Betty vor zwanzig
Jahren zum letzten Mal gesehen, in New York. Jetzt war sie Anfang vierzig und
verheiratet, die schwarzen Haare waren ein bisschen kürzer, die grünen Augen
eine Spur sanfter. Trotzdem erkannte er in ihr sofort die Frau von damals: an
ihrer Art, den Kopf zu neigen, an ihrem zögerlichen Lächeln. Im Verblassen
schien das Vergangene sogar noch schärfer hervorzutreten. Ott fühlte einen
Impuls, über den Tisch hinweg Betty zu berühren.
    Stattdessen ergriff er die
Hand, die Leo ihm entgegenstreckte, packte ihn mit der Linken an der Schulter
und bedachte den Mann — den er zum ersten Mal sah - mit all der Wärme, die er
gegenüber dessen Frau nicht zeigen durfte.
    Er setzte sich neben Betty auf
die samtbezogene Bank, legte ihr zum Gruß nur kurz die Hand auf den Arm und
schob sportlich die Beine unter den Nebentisch, er war noch gelenkig mit seinen
vierundfünfzig Jahren. Dann knetete er seinen Stiernacken, strich sich über den
raspelkurz geschorenen Schädel, fuhr über seine gerunzelten Brauen und behielt
die beiden im Blick. Der Ausdruck seiner blassblauen Augen schwankte zwischen
der Drohung, dem ganzen Lokal den Kampf anzusagen oder laut loszulachen oder
alles hinzuschmeißen. Er tätschelte Leo die Wange. »Schön, hier zu sein.«
    Diese wenigen Worte waren wie
eine Welle der Genugtuung - Betty hatte längst vergessen, wie es war, in Otts
Gesellschaft zu sein.
    Nur wegen dieses Treffens
hatte Cyrus Ott die ganze Reise nach Rom gemacht und Firma samt Frau und
kleinem Sohn in Atlanta, dem Sitz seines Konzerns, zurückgelassen. Während der
Überfahrt hatte er ihre Artikel gelesen. Leo, der Rom-Korrespondent einer
Chicagoer Zeitung, beherrschte jedes Klischee, seine Texte lebten vom
Journalistenjargon: endlose Flüchtlingsströme schwappten über Grenzen, Städte
rüsteten sich gegen Sturmfluten, Wähler eilten zu den Urnen. Betty schrieb frei
für amerikanische Frauenzeitschriften, ihre Spezialität waren humorvolle
Glossen über das Leben im Ausland und zur Abschreckung gedachte Storys über
junge, von italienischen Lustmolchen verführte Amerikanerinnen. Einst hatte sie
andere Ambitionen gehabt. Ott hatte betrübt festgestellt, wie wenig davon übriggeblieben
war.
    »Darf ich fragen, wozu genau
Sie uns treffen wollten«, fragte Leo.
    »Ich wollte über eine Zeitung
reden.«
    »Über welche?«
    »Meine eigene«, sagte Ott. »Ich
plane, eine zu gründen. Eine internationale englischsprachige Zeitung. Mit Sitz
in Rom und weltweitem Vertrieb.«
    »Ach ja?« Leo beugte sich vor
und ließ den Schlips los, den er über einen fehlenden Hemdknopf gehalten hatte.
»Klingt gut.« Der Schlips schwang wie das Pendel einer Uhr und entblößte den
Faden, an dem der Knopf gehangen hatte. »Könnte was werden. Durchaus. Und Sie,
äh, brauchen jetzt Leute?«
    »Euch beide. Ihr sollt die
leiten.«
    Betty schraubte sich aus ihrem
Sitz hoch. »Wie kommst du auf die Idee, eine
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