Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom
Autoren: Die Unperfekten
Vom Netzwerk:
Zeitung zu gründen?«
    »Je mehr ich darüber
nachdenke«, fiel Leo ihr ins Wort, »desto besser gefällt mir die Idee. Bis
jetzt hat das nämlich noch nie einer richtig angefasst. Noch nie hat jemand
richtig Geld aus so was rausgeholt.«
     
    Als sie sich verabschiedeten,
war Ott als Einziger nüchtern. Er drückte beiden die Hände, tätschelte Leos
Schulter und stieg die Spanische Treppe hinauf zum Hotel Hassler, in dem er
abgestiegen war. Betty und Leo torkelten die Via del Babuino entlang nach
Hause.
    Leo zupfte Betty am Ohr und
flüsterte: »Kann man den ernst nehmen?«
    »Konnte man bisher immer.«
    Leo hörte kaum zu. »Das ist
der reichste Knacker, mit dem ich mich je besoffen habe«, sagte er.
    Zu Hause angekommen, hangelten
sie sich am Treppengeländer hoch, als wäre es ein Seil. Sie wohnten im vierten
Stock, die Wohnung war gerade groß genug für ein kinderloses Paar und hatte
hohe Räume mit abgezogenen Dielen, aber nur ein Fenster, was allerdings für
Leute mit Hang zum Kater durchaus von Vorteil war. Betty kochte Kaffee.
    »Sei lieb zu mir«, sagte sie,
plötzlich ernst. Sie tippte Leo auf die Stelle des Jochbeins, wo er ein
Haarbüschel zu rasieren vergessen hatte - sie hatte den ganzen Abend ihren
Blick nicht davon abwenden können.
    Ein paar Straßen weiter saß
Ott auf seinem Hotelbett. Er neigte nicht zu Zweifeln. Aber in dieser Nacht
schlief er nicht. Vielleicht, dachte er, sollte ich den Plan nicht weiter
verfolgen. Vielleicht sollte ich alles so lassen, wie es ist. Vielleicht sollte
ich diese Zeitung doch nicht gründen.
     
    Mit 126: Ältester Lügner
der Welt gestorben
     
    Arthur
Gopal, Nachrufe
     
    FRÜ HER HATTE
ARTHURS BÜROKABUFF GLEICH HIN TER dem Wasserspender gelegen, aber irgendwann waren
es die Chefs leid, immer, wenn sie Durst hatten, mit ihm plaudern zu müssen.
Und so blieb der Wasserspender da und Arthur zog um. Jetzt ist sein
Arbeitsplatz irgendwo hinten in der Ecke, so weit wie möglich entfernt vom Zentrum
der Macht, aber näher am Schrank mit den Stiften, was durchaus tröstlich ist.
    Wenn Arthur den Dienst
antritt, sackt er auf den rollenden Drehstuhl und sitzt erst mal da. Und zwar
so lange, bis Trägheit und der Fortbestand seines Angestelltendaseins nicht
länger vereinbar sind. Erst dann wurschtelt er sich aus dem Mantel, schaltet
den Computer an und geht die aktuelle Nachrichtenlage durch.
    Niemand gestorben.
Beziehungsweise doch, 107 Menschen in den letzten Minuten, 154 000 in den
letzten vierundzwanzig Stunden und 1078 000 in der letzten Woche. Aber niemand
von Bedeutung. Das ist gut - Arthur hat seit neun Tagen keinen Nachruf mehr
schreiben müssen, er hofft, dass diese Glückssträhne anhält. Sein überragendes
Arbeitsziel ist das Nichtstun - so selten wie möglich einen eigenen Text im
Blatt haben und sich davonschleichen, wenn niemand guckt. Diese professionellen
Ambitionen setzt er fabelhaft um.
    Er klappt einen Aktenordner
auf, damit er, falls irgendjemand vorbeikommt, in Papieren blättern, gereizt
hochsehen und murmeln kann: »Man muss auf alles vorbereitet sein!« Das
schreckt nämlich die meisten Kollegen ab. Leider nicht alle.
    Clint Oakley steht plötzlich
hinter ihm, und Arthur ruckelt auf dem Stuhl herum, als ob er in einem
Würgeeisen klemmt. »Clint! Hallo. Morgen. Hab die Agenturen durch. Nichts, was
unbedingt sein muss. Finde ich jedenfalls. Bis jetzt.« Er hasst sich für seinen
hündischen Rechtfertigungsdrang gegenüber Vorgesetzten. Er könnte doch einfach
die Klappe halten.
    »Hast du's nicht gesehen?«
    »Was gesehen?«
    »Soll das 'n Witz sein?« Clint
ist Spezialist für Befragungen, die so einschüchternd wie unverständlich sind.
»Liest du keine E-Mails? Werd mal wach, du Schwuchtel.« Er klopft auf Arthurs
Monitor, als wäre der ein Totenschädel. »Jemand zu Hause?« Clint Oakley ist
Arthurs Chef, ein schuppenrieselnder, baseballbesessener, sexuell verbohrter
Mann aus Alabama mit einem Schnauzer wie eine Klobürste und außerstande jemandem
in die Augen zu sehen. Er ist auch Ressortleiter Kultur, eine im Grunde genommen
groteske Fehlbesetzung. »Rectum«, sagt er und meint offenbar Arthur, bevor er
in sein Büro zurückschlurft.
    Wenn uns die Geschichte eins
lehrt, grübelt Arthur, dann, dass Männer mit Schnauzern niemals auf Machtpositionen
sitzen dürfen. Betrüblicherweise hat sich die Zeitung nicht an diese
Binsenweisheit gehalten, denn Clint sitzt außerdem auf sämtlichen Sonderseiten
und auf den Nachrufen. Neulich hat er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher