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Racheherz - Roman

Racheherz - Roman

Titel: Racheherz - Roman
Autoren: Heyne
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im Stich gelassen, bevor die Zwillinge zwei Jahre alt waren. Sie hatte keine Erinnerung an ihn.
    Er wollte Samantha schon raten, sie solle an dem Bisschen Familie, das sie noch besaß, doch festhalten. Beinah hätte Ryan sie ermutigt, ihrer Mutter eine Chance zur Wiedergutmachung zu geben. Aber er sagte nichts dazu, weil Sam sein Mitgefühl und sein Verständnis hatte.
    Seine Großeltern und ihre - alle längst tot - hatten der Generation angehört, die Hitler besiegt und den Kalten Krieg gewonnen hatte. Ihre Entschlossenheit und Rechtschaffenheit waren, wenn überhaupt, nur in verwässerter Form an die nächste Generation weitergegeben worden.
    Ryans Eltern gehörten, ebenso wie Sams, dem Teil der Nachkriegsgeneration an, der die traditionellen Verpflichtungen von sich wies und hemmungslos Forderungen stellte. Manchmal erschien es ihm, als sei er der Elternteil, während seine Mutter und sein Vater die Kinder waren.
    Ungeachtet der Konsequenzen ihres Verhaltens und ihrer Entscheidungen sahen sie keine Notwendigkeit, Abbitte zu leisten. Ihnen eine Chance zur Wiedergutmachung anzubieten, hätte sie nur gekränkt. Sams Mutter dachte höchstwahrscheinlich genauso.
    Samantha stellte ihr Glas wieder ab, doch diesmal machte die Sonne nichts daraus.
    Nach kurzem Zögern sagte Ryan, während er ihnen beiden
Wein nachschenkte: »Es ist schon komisch, dass etwas so Hübsches wie die Blüten von Erdbeerbäumen den Schorf von einer schlimmen Erinnerung reißen kann.«
    »Tut mir leid.«
    »Keine Ursache.«
    »Ein so schöner Tag. Ich hatte nicht vor, ihn zu verderben. Hast du auch einen solchen Bärenhunger wie ich?«
    »Man bringe mir den ganzen Stier«, sagte er.
    Tatsächlich bestellten sie jedoch nur Filet Mignon, ohne Hörner und Hufe.
    Als die untergehende Sonne den Himmel im Westen aufflammen ließ, gingen in den Erdbeerbäumen Ketten winziger weißer Lichter an. Auf sämtlichen Tischen standen Kerzen in bernsteinfarbenen Schalen aus geschliffenem Glas, die jetzt von jungen Kellnern angezündet wurden.
    Der gewöhnliche Patio verwandelte sich in einen magischen Ort und Samantha war der Blickfang in seinem Mittelpunkt.
    Als der Kellner die Steaks servierte, hatte Sam zu der unbeschwerten Stimmung zurückgefunden, die den Tag ansonsten geprägt hatte, und Ryan schloss sich ihr an.
    Nach dem ersten Bissen hob sie ihr Weinglas, um ihm zuzuprosten. »Hey, Dotcom, wir trinken auf dich.«
    Dotcom war ein weiterer Spitzname, den sie ihm gegeben hatte und vorwiegend dann benutzte, wenn sie sich über sein öffentliches Image als Business- und Technologie-Genie lustig machen wollte.
    »Warum auf mich?«, fragte er.
    »Heute bist du endlich vom Pantheon herabgestiegen und hast gezeigt, dass du bestenfalls ein Halbgott bist.«
    Er spielte den Entrüsteten: »Ich habe nichts dergleichen
getan. Ich drehe immer noch das Rad, das am Morgen die Sonne und am Abend den Mond aufgehen lässt.«
    »Früher hast du es mit den Wellen aufgenommen, bis sie kapituliert und alle viere von sich gestreckt haben. Heute bist du um halb drei auf deinem Handtuch gestrandet und hast alle viere von dir gestreckt.«
    »Hast du in Betracht gezogen, dass es Langeweile gewesen sein könnte? Dass die Wellenfronten mich nicht genug herausgefordert haben?«
    »Mit dem Gedanken habe ich etwa zwei Sekunden lang gespielt, aber du hast geschnarcht, als seist du zur Genüge herausgefordert worden.«
    »Ich habe nicht geschlafen. Ich habe meditiert.«
    »Du und Dornröschen.« Nachdem sie dem aufmerksamen Kellner versichert hatten, ihre Steaks seien ausgezeichnet, sagte Samantha: »Jetzt mal im Ernst, es war doch alles in Ordnung mit dir dort draußen, oder nicht?«
    »Ich bin vierunddreißig, Sam. Ich vermute, ich kann es den Wellen nicht mehr jeden Tag so geben wie ein Jugendlicher.«
    »Es ist nur … du hast im Wasser etwas grau ausgesehen.«
    Er hob eine Hand zu seinem Haar. »Wo soll ich grau gewesen sein?«
    »Ich rede von deinem hübschen Gesicht.«
    Er grinste. »Du findest es hübsch?«
    »Du kannst eben nicht andauernd diese Sechsunddreißig-Stunden-Schichten am Computer leisten und hinterher gleich losziehen und es mit dem Meer aufnehmen, als seist du The Big Kahuna höchstpersönlich.«
    »Ich sterbe nicht, Sam. Ich altere lediglich in Würde.«

    Er erwachte in vollkommener Dunkelheit und spürte die Wogen des Meeres unter sich. Er war verwirrt und glaubte einen Moment lang, er läge auf dem Rücken auf einem Surfboard, jenseits des Breaks, unter einem
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