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Racheherz - Roman

Racheherz - Roman

Titel: Racheherz - Roman
Autoren: Heyne
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in ein oder zwei Minuten hier sein.
    Er wusste jedoch nicht, wo sich, von seiner jetzigen Position aus, das Bett, der Nachttisch und das Telefon befanden. Er hatte die Orientierung verloren.
    Das Zimmer war groß, aber nicht riesig. Er hätte in der Lage sein sollen, sich auch im Dunkeln darin zurecht zu finden.
    Aber der Schmerz, der Schwindel, die Schwäche und die Angst lähmten seine Gedanken, so dass er nicht in der Lage war, Berechnungen anzustellen. Obwohl er vom Bett auf den Boden nur einen guten halben Meter tief gestürzt war, schien es, als sei er aus großer Höhe hinabgestoßen worden, in Ungnade gefallen, und beim Aufprall war jegliche Gnade zu Staub zerfallen. Und alle Hoffnung.

    Heiße Tränen traten in seine Augen und in seiner Kehle brannte zurückgeflossene Magensäure. Das Feuer in seinem Unterkiefer würde bestimmt den Knochen verschlingen und sein Gesicht in sich zusammenfallen lassen.
    Die Dunkelheit drehte sich und neigte sich zur Seite. Er konnte nicht weiterkriechen, sondern sich nur noch in den Teppich krallen, als wäre die Schwerkraft aufgehoben und als würde er davongewirbelt. Schwerelos, in die Leere des Weltalls.
    Sein Herz hämmerte so schnell, dass er die Schläge nicht zählen konnte, aber es waren mindestens zweihundert pro Minute.
    Der Schmerz breitete sich von seiner Kehle in den linken Arm aus, strömte durch die Schulter und sandte Strahlen seinen Rücken hinunter.
    Er war ein Prinz des Internet, reicher als die meisten Könige. Und jetzt lag er niedergestreckt da, wie einer aus dem gewöhnlichen Volk, der sich in Anwesenheit königlicher Hoheiten beschämt zu Boden wirft, seinem Körper auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, nichts weiter als Lehm.
    Der schwarze Ozean schwoll unter ihm an, und er hatte nichts, woran er sich festhalten konnte, weder ein Surfbrett noch die Rückenflosse eines Hais. Das Meer war unendlich und er so unbedeutend wie das filigrane Flechtwerk aus Schaum auf einer einzigen Welle. Eine große Wassermasse bäumte sich auf und er glitt auf ihrer Rückseite hinunter in ein Wellental und das Wellental wurde zum Abgrund und der Abgrund zu einem Strudel, der ihn schluckte.

4
    Die Weckfunktion des Fernsehers war auf sieben Uhr morgens eingestellt. Die Lautstärke blieb leise und Ryan wurde langsam von murmelnden Stimmen geweckt, von Musik, deren Instrumentierung ein Drama ankündigte.
    Der matte Schimmer des Bildschirms vertrieb die Dunkelheit nicht vollständig. Wenn sich der Lichtwert in einer Szene veränderte und wenn Figuren sich bewegten, huschten flackernde Phantome durch das Schlafzimmer.
    Ryan lag mit dem Gesicht zum Bildschirm in Fötushaltung auf dem Fußboden. William Holden, offenbar viele Jahre nach Boulevard der Dämmerung , sprach eindringlich mit einer hinreißenden jungen Frau.
    In vierunddreißig Jahren hatte Ryan nur zwei Kater erlebt, und das hier schien der dritte zu sein. Kopfschmerzen. Verkrustete, zusammengeklebte Augenlider, alles nur unscharf und verschwommen zu erkennen. Ein saurer Geschmack im trockenen Mund.
    Er konnte sich nicht gleich an die Vorfälle des vergangenen Abends erinnern und wusste auch nicht mehr, was in ihn gefahren war, sich auf dem Boden schlafen zu legen.
    Seltsamerweise faszinierten ihn die mysteriösen Umstände, in denen er sich befand, weniger als das Geschehen im Fernsehen: der ältere Mann, die jüngere Frau, das besorgte Gespräch über einen Krieg …
    Die einst so scharfen Kanten seines Verstandes waren vom Gebrauch abgeschliffen, seine Gedanken ein formloser
Strom aus Quecksilber. Selbst als er wieder klarer sehen konnte, war er nicht in der Lage, dem Film zu folgen oder die Beziehung zwischen den Personen zu erfassen.
    Dennoch fühlte er sich gezwungen hinzusehen, denn ihn ließ das Gefühl nicht los, er sei nicht zufällig während dieses Films erwacht, sondern durch eine Fügung des Schicksals. Hier wurde ihm eine Warnung erteilt, die seine Zukunft betraf, und er musste sie entziffern und verstehen, wenn er sich retten wollte. Diese seltsame Überzeugung wuchs in ihm, bis er sich genötigt sah, sich auf die Knie aufzurichten und schließlich auf die Füße zu kommen. Langsam bewegte er sich auf den großen Bildschirm zu.
    Als die feinen Härchen in seinem Nacken kribbelten, beschleunigte sich sein Herzschlag. Das Hämmern in seiner Brust rief ihm schlagartig das viel heftigere Pochen ins Gedächtnis zurück, das ihn in der Nacht geweckt hatte, und plötzlich erinnerte er sich an jedes Detail des
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