Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
Autoren: Thomas Schmidt
Vom Netzwerk:
lassen. Sein PKW befand sich mit angeschlossenen Vorderrädern beim Abschleppdienst. Wackernagel hat erst einmal einen Zwischenschritt einlegen müssen in Form einer langweiligen, 900 km langen Bahnreise nach München und zurück, um seinen Ersatzzündschlüssel zu holen. Der Einbau eines neuen Zündschlosses hätte in diesem Fall weniger Aufwand bedeutet. Inzwischen hat Wackernagel die ganze Kneipe auf den Kopf gestellt, um nach dem Zündschlüssel zu suchen – ohne Erfolg! Ich sah vor, heute Morgen den Müllkübel umzukippen, um den Autoschlüssel Wackernagels vor gänzlicher Vernichtung zu retten. Vielleicht stünde ich dann in der Gunst des Chefs? Dann ist mir jedoch eingefallen, dass ich mich erst einer kosmetischen Operation unterziehen lassen müsste, um unserem Boss zu gefallen. Also blieb der Zündschlüssel dort, wo er war. Außerdem hatte ich während der Heimreise Wackernagels gewisse Narrenfreiheiten und vor allem lustige Stündchen mit Irma. Sie hat mich übrigens darüber informiert, dass Wackernagel meinen Vorgänger herausgeekelt hat. Vor allem gab es einen Lohnrückstand von etwa einem halben Jahr.
    Am nächsten Tag führte ich eine Inventur durch und nahm das Gefriergut für die restlichen Gerichte in verschiedenen Gefrierschränken, z. B. den Sauerbraten, den Tafelspitz usw. unter die Lupe. Dabei war mir nicht klar, ob das Ganze überhaupt noch genießbar war. Im Nachhinein ärgerte ich mich darüber, dass an mich keinerlei Übergaben erfolgten – Wackernagel hat mich buchstäblich ins Messer laufen lassen oder gelinde gesagt, ins Wasser geschmissen.
    Irma betrat wieder mal unberechtigt die Küche, um mir unter die Arme zu greifen. Mit einer Säge fummelte sie von allen tiefgefrorenen Fleischgerichten kleine Stücke ab, um sie dann mit Gewalt aufzutauen. Anschließend beroch sie die Fleischproben und stellte fest, dass Tafelspitz, Schweinenackensteak und Schweizer Sahneschnitzel begannen, sich chemisch umzusetzen. »Was tun?«, fragte ich. Nirgends gab es einen Vermerk, der darauf hinwies, zu welcher Zeit die Fressalien in die Gefrierschränke kamen. Proportional mit dem Auftauprozess fingen nun alle genannten Gerichte regelrecht an zu stinken. Daraufhin haben Irma und ich den ganzen Schiet entsorgt. Es handelte sich etwa um ca. 30 Portionen pro Gericht.
    Am nächsten Tag ereilte uns ein Fax vom Wutscher, mit dem er sich avisierte:
    Komme am 23. 08. 1991 nach Leipzig

    Irma führte sofort einen Freudentanz mit sich selbst auf. Es war morgens gegen Acht. Wir bereiteten die eingefrorenen Kohlrouladen für den Mittagstisch vor. Dazu schnippelten wir Kraut für Rohkostsalate und hörten Radio mit Irmas Kofferheule trotz des strengen Verbotes Wackernagels. Plötzlich ging die Küchentür auf und kein Geringerer als der Wutscher stand vor uns. Das Fax von ihm an uns war nur ein Trick. Wackernagel hatte nie vor, seine aufgezwungene Dienstreise erst am 23. des Monats zu beenden. Jedenfalls sind wir in Ungnade gefallen. Zuerst bekam Irma eine Abmahnung wegen des Kofferradios und des unerlaubten Aufenthaltes in der Küche. Sie bereitete sich seelisch und moralisch auf eine Entlassung vor. Ich selbst räumte mir ebenfalls nur geringe Chancen ein, die Probezeit zu überstehen und war mir sicher, dass mich Wackernagel für das Parken in der Feuerwehrausfahrt verantwortlich machte. Ich brauchte zwar dringend Geld, traute mich aber nicht an den Wutscher heran, um eine Vorschusszahlung zu erbitten. Aus diesem Grund pumpte ich schweren Herzens Irma an, die mir ganze zehn DM zinslos von ihrem bescheidenen Hab und Gut rüberwachsen ließ.
    Am 24. August sollte die Einweihung der Zwanzig-Familien-Residenz »Das Domizil« steigen. Geplant war bei schönem Wetter ein kleiner Umtrunk im Biergarten des Hauses, so zwischen 11 und 13.00 Uhr, inklusive eines kleineren, aber heißen Buffets á la carte. Auf Grund der territorialen Lage bot sich natürlich »Der Abendfrieden« an. Teilnehmer waren einige Größen der Stadt Leipzig, wie zum Beispiel der Stellvertreter des Oberbürgermeisters, der Leiter des Baudezernates und einige seiner Mitarbeiter sowie Vertreter der Ausländerbehörde und andere Persönlichkeiten. Irma hatte den Auftrag, für dieses Tamtam eine gesonderte Speisekarte im Kleinformat drucken zu lassen. Sie enthielt all die Gerichte, die wir bereits weggeworfen hatten. Irma machte sich mit der Vorlage Wackernagels auf den Weg zur Druckerei. Zwischendurch ergänzte Irma den Text nach ihrer Fasson. Da war zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher