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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition)
Autoren: Philipp Schmidt
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Barthaaren sich in seinem blassen Gesicht zeigte, nahm sich der Dorfvorstand, der einzige Mann des kleinen Ortes, der ein Schwert besaß, seiner an. Ein Jahr darauf waren sie unter dem Banner Brisaks zum ersten Mal in die Schlacht gegen die Orks gezogen, die damals in Kriegsbanden über den Rhein kamen. Inmitten der Grausamkeiten der Schlachtfelder wuchs er, begleitet von den Schreien der Sterbenden, zum Mann heran. Als der einzige Krieger seines Dorfes fiel, nahm er dessen Platz ein. Stück um Stück arbeitete er sich fortan in der Hierarchie der brisakschen Armee nach oben. Es war nicht so, als ob ihm das Töten Spaß bereitete, vielmehr stellte sich heraus, dass es schlichtweg das war, was er am besten konnte. Mittlerweile hatte seine Schwester selbst zwei erwachsene Kinder, und der Vater war nicht weit vom Alterstod entfernt. Da Kraeh, den zweithöchsten Rang der Armee bekleidend, ein stattliches Einkommen zustand, hatte das abgelegene Fischerdorf es zu einem relativen Wohlstand gebracht. Nicht bloß Dankbarkeit verband Kraeh mit den Menschen, die ihn aus den Fluten des Flusses gerettet und bei sich aufgenommen hatten, sondern auch Liebe, und wann immer es sich einrichten ließ, besuchte er sie, die Satteltaschen voller Geschenke. 
    Sedains einzige Leidenschaften hingegen waren der scharfe Stahl an seiner Seite, die zwei Armbrüste, deren filigran verzierte Wurfarme unter seiner Fellweste hervorlugten, und die Freundschaft, die sein Schicksal mit dem Kraehs verflocht. Nach den großen Orkkriegen war immer mehr das angrenzende Rhodum, mit dessen Soldaten man zuvor gemeinsam im Schildwall gestanden hatte, zum Rivalen geworden. Sedain hatte zu jener Zeit als Söldner unter der Standarte des Feindes gedient. 
    Er entstammte einem Volk mystischer Krieger, die an der Quelle des Rheins herrschten. Man nannte sie Gaesen. Sie waren leicht an den Runentätowierungen zu erkennen, die die größten Teile ihrer Körper schmückten. Niemand wusste, weshalb Sedain seinen Stamm verlassen hatte, aber das bizarre Muster, das sich verästelnd von der rechten Schläfe an seinen Hals hinunterzog, ließ keinen Zweifel an seiner Herkunft. 
    Nach einem Schlagabtausch beider Mächte war es Kraeh gewesen, der ihn auf dem Feld, auf dem die Schlacht ausgetragen worden war, halb verblutet gefunden hatte. Er hatte seine Wunden versorgt und später behauptet, ihn abgeworben zu haben. Zuerst war es seitens Kraeh Berechnung gewesen, den todbringenden Halbelfen auf seine Seite zu ziehen, nachdem er ihn im Kampf mehrere seiner Männer hatte niedermachen sehen. Im Laufe der Zeit aber hatte sich eine Verbundenheit entwickelt, wie er sie einzig zu seiner Stiefschwester in den Tagen seiner Kindheit empfunden hatte. 
    Auf einer moosbewachsenen Lichtung machte Kraeh halt. Der Mondschein tauchte den Platz in milchiges Grau. 
    »Wir bleiben hier bis zum Morgengrauen.« 
    Die beiden Freunde luden die Pferde ab und richteten sich eine behelfsmäßige Schlafstätte auf dem feuchten Untergrund. Eine Weile lauschten sie noch dem Heulen eines Wolfsrudels. Als es sich entfernt hatte, ließen sie sich vom Schlaf übermannen. 
     
    *** 
     
    Am Morgen brachte ein halber Tagesmarsch Kraeh und Sedain aus dem Sumpfland auf eine weite Ebene. Sie bestiegen ihre Pferde. Im Trab hielten sie auf die in der Ferne bereits zu erkennende Feste Brisaks zu. 
    Die Spätwintersonne lag matt auf den strahlenförmig angelegten Wehrgängen, als die Hufe der Tiere hart auf Pflasterstein schlugen. Sie hatten das Weideland verlassen und befanden sich nun auf der großen Straße, die nach Südosten folgend das Feindesland Rhodum, die Auen umgehend, mit dem Hauptsitz ihres Herrn verband. 
    Eine Gewitterfront drängte sich von den jenseitigen Ufern des Rheins in ihr Sichtfeld. 
    »Es könnte heikel werden, wenn Bran von unsrem kleinen Geschäft erfahren hat«, sagte Kraeh düster. 
    »Mir schlottern die Knie«, antwortete Sedain ironisch, kniff aber die Augen zusammen, während er an dem höchsten Turm der Festung hochsah, hinter dessen Mauern Fürst Brans Gemächer lagen. 
    Eigentlich hätten Sträucher und Wiesen allmählich wieder an Farbe gewinnen müssen, doch von vereinzelten Schneeglöckchen abgesehen, lag das Land noch kahl und trostlos im Winterschlaf. Ostara, die Festlichkeit zur Tag- und Nachtgleiche stand in weniger als einem Mond an. Es würde traurig ausfallen, dachte Kraeh, wenn der Frost nicht bald seinen erbarmungslosen Griff lockerte. Zwar gab Kraeh wenig
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