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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition)
Autoren: Philipp Schmidt
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Zeitalter, auch Sitten und Gebräuche ähnelten denen längst vergangener Epochen. Ob man sie bewusst versuchte wiederherzustellen, oder ob höher entwickelte Lebewesen auf gewisse Umstände in immer verwandter Weise reagieren, muss an dieser Stelle offen bleiben. 
    Die Menschen hatten die Nachfahren jener, die sich beim Einsetzen der großen Umwälzung verwandelt hatten, inzwischen noch weiter zurückgedrängt und ihre Reiche mit Mauern und Wachtürmen, Stahl und Blut abgesteckt. 
    Genug der Vorrede. Folgen wir nun dem Flug eines Wanderfalken, der auf der Suche nach Beute hoch über den Tannenwipfeln des Schwarzwaldes kreist. Seine Schwingen tragen ihn hinweg über Bachläufe und Felsmassive durch den Dunst eines frischen Morgens. 
    Hinter ihm, im Westen, beschreiben die Fluten eines mächtigen Flusses eine Biegung, in die sich die Ländereien schmiegen, deren Oberhäupter sich eitel Herren des Rheins nennen. Weit ab von ihnen und ihren steinernen Städten, die sich im ständigen Kriegszustand mit ihren Nachbarn befinden, hält der Falke Ausschau nach Beute. Er genießt die Jagd, öffnet und schließt spielerisch seine Klauen. Weit entfernt liegen die umkämpften Grenzen; geschützt durch Fels und Wald erstrecken sich unter ihm weite Felder, die von den friedlichen Bewohnern eines in Vergessenheit geratenen Dorfes bewirtschaftetet werden. 
    Wie ein Pfeil schießt er herab, um einer Maus, bevor sie weiß, wie ihr geschieht, den Tod zu bringen. 
     

Heimische Feuer 
     
    An einem Spätsommertag, im Schatten eines Kirschbaumes, saß ein Mann. Es war ein alter Mann, sehr alt. Er dachte darüber nach, wie es sich anfühlen würde, wenn das Ende käme und dies sein letzter Sommer wäre. 
    Die Erde um ihn war von faulenden Früchten übersät und die Luft angefüllt vom Surren trunkener Wespen. Dem Alten war es dennoch ein angenehmer Platz. Die Insekten ließen ihn in Frieden. Sonnenstrahlen tänzelten, von den Blättern gebrochen, über die Falten und Furchen seines Gesichts. Er hatte die Augen geschlossen und lauschte dem Lachen im Spiel zweier Kinder. Der alte Mann mochte Kinder, diese Tatsache allein hätte ihn vermutlich schon zum Lehrer des kleinen Dorfes gemacht, in dem er bereits die dritte Generation hatte aufwachsen sehen. Die Geschichten, die er jeden Vormittag erzählte, waren aus so grauer Vorzeit, dass niemand glauben konnte, er habe sie tatsächlich erlebt. Dennoch bildete sich nicht selten ein Kreis um ihn, der eine gewisse Zahl auch der erwachsenen Gemeinschaft mit einschloss. Lag viel Arbeit an, war es zur Gewohnheit einiger Familien geworden, wenigstens einen der Ihren zu ihm zu schicken, der später beim Nachtmahl eine Zusammenfassung vorzutragen hatte. 
    Als der Mann die Augen öffnete, fiel sein Blick auf einen Vogel, dessen Klauen sich erbarmungslos um ein winziges Geschöpf schlossen. Schon erhob der Jäger sich wieder in die Lüfte, einen gebrechlichen Alten zurücklassend. Bilder der Erinnerung fanden ihren Weg in sein Bewusstsein und riefen den Geschmack von Nostalgie, aber auch von Reue und Schuld hervor. 
    Allmählich gruppierte sich eine kleine Schar Heranwachsender im Halbkreis um ihn. Fried, der vorwitzigste Junge im Dorf, wurde bereits unruhig, was sich darin äußerte, dass er, nicht wissend was er sonst mit den Händen anfangen sollte, eine Rangelei mit zweien seiner Spielgefährten begann. 
    Die rot gelockte Kaila nahm wie üblich direkt links neben dem Greis Platz. Sie hatte die Fähigkeit, jeden Anwesenden mit ihrem sommersprossigen Lachen anzustecken. Bei besonders spannenden Stellen seiner Geschichten pflegte sie die langen, weißen Haare des Erzählers immer wieder durch ihre Hände gleiten zu lassen, bis kleine Locken entstanden. 
    Alles war wie jeden Morgen, alles war gut. Der alte Mann schmunzelte. 
    »Ihr seid gekommen, eine Geschichte zu hören?«, fragte er in alter Tradition. 
    »Jaaa«, antwortete der Kanon. 
    »Nun gut«, sagte er und räusperte sich, »ich erzähle euch die Geschichte von Lars und wie er den Bären von Hornstein bezwang …« 
    »Nein!«, unterbrach ihn Fried, der mittlerweile von seinen Sitznachbarn abgelassen hatte. 
    »Wir wollen viel lieber von der Kriegskrähe und der großen Schlacht gegen die Gorka-Orks hören. Du hast es versprochen, schon letzten Herbst.« 
    Einige nickten beipflichtend. 
    Für einen kurzen Augenblick schien sich seine Miene zu verfinstern, doch sie hellte sich sofort wieder auf, als er in den Kreis freundlich
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