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Raban, der Held

Raban, der Held

Titel: Raban, der Held
Autoren: Joachim Masannek
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hüpfte unter Schmerzen herum, doch er konnte nicht spielen.
    „Keine Angst! Wir schaffen das noch!“, rief ich, packte den Ball und lief zum Anstoßkreis vor.
    Dort schob ich das Leder zu Felix. Der passte sofort zu Vanessa nach rechts. Die stürmte allen davon, sah Jojo auf links, der so frei stand wie der Mann auf dem Mond, und flankte auf den Millimeter genau. Jojo musste nur noch seinen Fuß hinhalten, um das Tor zu erzielen. Doch dieses Tor wollte ich. Ich wollte meinen Fehler wieder gut machen, und deshalb grätschte ich in Vanessas Flanke hinein, erwischte den Ball eine Nanosekunde vor Jojo und schoss ihn vor den vor Entsetzen geweiteten Augen aller Wilden Kerle mit dem linken, dem falschen Fuß aus zwei Meter Entfernung weit über das Tor.
    „Kreuzkacke und Hühnerkümmel!“, fluchte Juli.
    „Beim heiligen Muckefuck! Was hast du getan!“, schimpfte Fabi, und Leons Augen sprühten nur Feuer.
    Ich wollte was sagen, doch meine Stimme ließ mich im Stich. Stattdessen lief ich zurück. Noch war gar nichts verloren. Dafür legte ich beide Beine ins Feuer, und der Keeper vom Turnerkreis schoss das Leder ins Feld. Es kam direkt auf mich zu. Ich musste es stoppen. Ja, das musste ich tun. Egal, was Juli hinter mir rief. Doch da trat ich tatsächlich neben den Ball. Die Kugel sprang auf, hüpfte über Juli hinweg, der ihn sonst tausendprozentig weggefischt hätte, und landete vor den Füßen des Gegners. Der Mittelstürmer der Stahlgrauen stand am Elfmeterpunkt und nahm das Angebot nur zu gern an. Blitzschnell drehte er sich, fegte Joschka, die siebte Kavallerie, wie eine lästige Fliege aus seinem Weg und katapultierte das Leder unhaltbar für Markus ins Netz.
    Bamm!
    Drei zu vier gegen uns, und der Pfiff, der dann kam, war der Schlusspfiff des Spiels. Wir hatten verloren. Und anstatt Herbstmeister zu werden, lagen wir jetzt sechs unaufholbare Punkte hinter dem Spitzenreiter zurück. Aber das war noch nicht alles. Es kam noch viel schlimmer. Tausendmal schlimmer als das. So schlimm wie das Feuer der neunundneunzigsten Hölle. Ich allein trug an diesem Desaster die Schuld. Plötzlich fröstelte mich. Ein eisiger Wind pfiff durch den Teufelstopf , und über mir hatten die Sturmwolken den Indianersommerhimmel verschluckt.

Das war’s
    Lachend radelten die Sieger vom TSV Turnerkreis aus dem Teufelstopf hinaus. Den eisigen Wind schienen sie gar nicht zu spüren, doch uns drückte er wie nasses Herbstlaub ins Gras. Zusammengekauert und wortlos saßen wir da, und genauso wortlos stellte Willi die Apfelsaftschorlen in den Träger zurück, die unberührt neben uns standen. Er hatte alles gesagt. Er konnte und wollte uns nicht weiterhelfen. So war Willi nun mal. Er war unser Trainer, doch er nahm das Leben nicht für uns in die Hand. Das war allein unser Job, denn für Willi waren wir keine unselbstständigen Kinder. Für ihn waren wir gefährlich und wild.
    Als wären wir gar nicht mehr da, verbarrikadierte er den Kiosk gegen den Winter. Das dauerte eine geschlagene Stunde. So lange nahm er sich Zeit, um sich dann ganz kurz von uns zu verabschieden.
    „Das war’s für dieses Jahr“, sagte er trocken. „Die Fußballsaison ist vorbei.“

    Wir schauten ihn an, als hätte er gerade behauptet, der Himmel fiele uns gleich auf den Kopf. Doch Willi hinkte nur zu seinem Wohnwagen hinüber und hievte sich schwerfällig die zwei Stufen zum Eingang empor. Dort zögerte er allerdings und drehte sich noch einmal zu uns um. Für einen Sekundenbruchteil glaubte ich zu erkennen, dass er sich genauso verzweifelt fühlte wie wir uns. Doch das war vielleicht nur der Schatten einer dunklen Wolke, die über uns zog, und diesen Schatten räusperte Willi im nächsten Augenblick weg.
    „Ach, ähm, also: Wenn ihr wollt, dann kommt am Tag vor Heiligabend vorbei. Dann gehen wir Rodeln und feiern Wilde Weihnachten, Männer!“, lächelte er und schloss die Tür des Wohnwagens dann ganz schnell hinter sich zu.
    Wir aber bewegten uns nicht von der Stelle. Es war fürchterlich ungemütlich und kalt, und trotzdem: Ich dachte gar nicht daran, als Erster zu gehen. Ich spürte jetzt schon die Blicke, die sie dann hinter mir herschicken würden und die ich nie wieder loswerden könnte:,Da fährt Raban, der Held! Nur wegen dem haben wir heute verloren.’
    Also blieb ich stur sitzen und ertrug schließlich das, was noch schlimmer war.
    Als Erstes erhob sich Leon. Wortlos ging er zu seinem Fahrrad und fuhr auf und davon. Ihm folgten Marlon und Rocce,
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