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Raban, der Held

Raban, der Held

Titel: Raban, der Held
Autoren: Joachim Masannek
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unserer Mannschaft.
    Davor hatte uns Willi gewarnt. Noch vor dem Spiel hatte er es gesagt: „Ohne gemeinsames Ziel wird der Winter unerträglich für euch.“
    Ich lag da und starrte zum Fenster hinaus. Die Sturmwolken färbten sich braun und sackten auf die Dächer der Stadt. So schwer waren sie. Dann begann es zu schneien. Dicke, fette Flocken erstickten den letzten Rest Herbst. Willi hatte die Wahrheit gesagt. Das war wirklich nicht zu ertragen. Deshalb setzte ich die Coca-Cola-Glas-Brille ab und stellte mich blind.
    Ja, so war es viel besser. Jetzt war ich wirklich allein. Und jetzt erinnerte ich mich genau:
    „Es ist keine Schande, wenn ihr heute verliert!“
    Das hatte Willi auch noch gesagt.
    „Das ist eure erste Saison. Und ihr spielt in einer höheren Klasse. Die Jungs da draußen in dem Stahlgrau sind ein bis zwei Jahre älter als ihr und fünf Jahre älter als Joschka.“
    Ja, das hatte Willi gesagt. Also warum machte ich mir überhaupt Sorgen? Es war alles gut!
    Da hörte ich Leon, als stünde er in meinem Zimmer neben dem Bett. „Das reicht!“, sagte er trocken und cool. Dann hörte ich mich fragen: „Was soll denn der Mist? Willst du, dass wir auf den Platz gehen und uns vornehmen, dass wir verlieren?“
    Ich horchte auf. Auch diese Stimme kam eindeutig aus dem Zimmer heraus.
    „Das hast du doch selber gesagt!“, frotzelte sie. „Vor dem Spiel. Als du noch davon geträumt hast, Fallrückziehertore zu schießen.“
    Ich tastete nach meiner Brille und setzte sie auf. Ich wusste sofort, wo ich hinschauen musste. Ja, obwohl ich nicht vor dem Spiegel im Kleiderschrank stand, konnte ich dort mein Spiegelbild sehen, und das lag überhaupt nicht im Bett. Das hockte im Schneidersitz auf dem Boden und blitzte mich aufmüpfig an. Ich rieb meine Augen hinter den Gläsern. War ich jetzt schon verrückt? Sah ich jetzt schon Gespenster?
    „Nein. Das tust du nicht!“, grinste der Raban im Spiegel so cool, wie ich in meinen kühnsten Träumen nicht war. „Du bist einfach nur fürchterlich schlecht! Du kannst so wenig Fußball spielen, wie eine Bleiente fliegen!“
    Mein Herz stockte und stach, als würde es von einer glühenden Lanze durchbohrt.
    „Aber das hab ich dir doch schon gesagt.“ Der Raban im Spiegel seufzte verständnislos. „Und ich hätte dich vor all dem bewahrt. Vor der Niederlage, der Schande und dass du alle deine Freunde verlierst.“
    Er sah mich mitleidig an.
    „Weißt du, Raban, ich kann nichts dafür, dass du lieber die Brille absetzt, anstatt die Wahrheit zu sehen!“

    „Ja, da hast du Recht!“, motzte ich. „Und das kannst du auch in Zukunft niemals verhindern! Ciao, Spiegelgeist. Und gute Nacht!“
    Gesagt, getan, riss ich mir die Coca-Cola-Glas-Brille aus dem Gesicht, verschränkte die Arme auf meiner Brust und nahm zu meiner Zufriedenheit wahr, wie die ganze Welt hinter einer Milchglasscheibe verschwand. „So, jetzt bin ich ihn los!“, dachte ich, da meldete sich der Raban im Spiegel schon wieder zu Wort.
    „Und? Kannst du jetzt schlafen?“
    „Lass mich in Ruhe! Ich sehe dich nicht!“, fuhr ich ihm über den Mund und starrte dorthin, wo ich die Decke vermutete.
    „Das glaube ich nicht!“, frotzelte er. „Schau doch einfach mal her!“
    „Ich denke nicht dran!“, patzte ich.
    „Nun, komm schon. Du kannst nichts verlieren!“, bettelte der Spiegelgeist jetzt. „Weiter als zwei Meter siehst du nichts scharf. Und der Kleiderschrank steht drei Meter fünfundsiebzig von deinem Bett weg.“
    Ich schwieg und starrte zur Decke. Ich wollte diesen Mistkerl nicht sehen.
    „Nun, komm schon, Raban! Du wirst mich nicht los. Ob du herschaust oder auch nicht. Also, was soll’s? Der einzige Unterschied liegt darin, dass du feige bist oder dich stellst.“
    Das war zu viel! Das ging eindeutig über das Maß des Erlaubten hinaus!
    „Das nimmst du auf der Stelle zurück!“
    Ich fuhr aus den Federn, stellte mich auf die Matratze und starrte in meinem Spiderman-Schlafanzug zum Kleiderschrank hin. „Ich bin nicht feige, hörst du. Ich bin Raban. Raban, der, der, der ...?“
    „... was?“, fragte der Spiegelgeist nach, und ich wollte es einfach nicht glauben.
    Überall, wohin ich auch sah, verschwand die Welt hinter wabernden Nebelschwaden, doch der Spiegel mit dem verhassten Geist schwebte absolut scharf in diesen Schwaden herum.
    „Raban, der was?“, fragte der Raban im Spiegel noch mal.
    „Was willst du von mir, du billiger Flaschengeist?“, zischte ich statt einer
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