Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quellcode

Quellcode

Titel: Quellcode
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
überzeugenderen Grund gefunden. »Wir hatten gerade diese CD mit den vier Songs rausgebracht, und das war's dann. Wir wussten es. Es dauerte nur eine Weile, bis wir es kapiert hatten.« In der Hoffnung, dass das Thema durch war, fing Hollis an, sich Frischkäse auf eine Bagel-Hälfte zu streichen.
    »Das war in New York?«
    »Ja.«
    »Gab es da einen bestimmten Moment, einen bestimmten Ort, wo du sagen würdest, dass The Curfew sich getrennt haben? Wo die Band die Entscheidung getroffen hat, keine Band mehr zu sein?«
    »Darüber müsste ich nachdenken«, antwortete Hollis im Bewusstsein, dass sie das lieber nicht sagen sollte.
    »Ich möchte ein Werk daraus machen«, sagte Alberto. »Du, Inchmale, Heidi, Jimmy. Wo auch immer es war. Wie ihr euch trennt.«
    Odile rutschte auf den Lederpolstern hin und her, hatte keinen Schimmer, worum es ging, und ärgerte sich darüber. »Ienchmale?«, sagte sie stirnrunzelnd.
    »Was sehen wir uns an, solange ich hier in der Stadt bin, Odile?«, fragte Hollis. Sie lächelte Alberto an und hoffte, er würde verstehen, dass das Interview beendet war. »Ich brauche Vorschläge von dir. Und ich brauche einen Termin, um dich zu interviewen«, sagte sie zu Odile. »Dich auch, Alberto. Aber im Moment bin ich fix und fertig. Ich brauche Schlaf.«
    Odile umschlang die weiße Kaffeeschale, so gut es ging. Ihre Nägel sahen aus, als ob etwas mit ganz kleinen Zähnchen daran geknabbert hätte. »Wir holen dich heute abend ab. Wir können uns ein Dutzend Werke ansehen.«
    »Scott Fitzgeralds Herzanfall«, schlug Alberto vor. »Ist hier die Straße runter.«
    Hollis sah auf die gedrängten, übergroßen und protzigen Buchstaben in Gefängnisblau auf seinen beiden Armen und fragte sich, was da geschrieben stand. »Aber er ist damals nicht gestorben, oder?«
    »Es ist im Virgin-Megastore«, sagte er. »In der Abteilung World Music.«
     
    Nachdem sie Albertos Denkmal für Helmut Newton angesehen hatten, das in Erinnerung an dessen Schaffen aus einer Menge monochromer Nacktheit in Art-déco-ähnlichem Stil bestand, ging sie zu Fuß zurück zum Mondrian. Es war dieser merkwürdige und flüchtige Zeitpunkt, der zu jedem sonnigen Morgen in West Hollywood gehört, wenn ein Ewigkeit versprechender Duft nach Chlorophyll und sich im Verborgenen erwärmender Frucht die Luft veredelt, kurz bevor sich die Abgasdecke über die Stadt senkt. Dieser Eindruck einer peripheren Schönheit aus einer Zeit vor dem Sündenfall, von etwas, das ein wenig mehr als hundert Jahre zurückliegt, aber in diesem Moment schmerzhaft gegenwärtig ist, als ob man sich die Stadt von heute einfach von den Brillengläsern wischen und vergessen könnte.
    Eine Sonnenbrille. Sie hatte vergessen, eine mitzunehmen.
    Sie sah hinunter auf das Fleckenmuster von schwarz gewordenem Kaugummi auf dem Gehweg. Auf die braunen, beigen, faserigen Rückstände des Sturms. Und fühlte diesen leuchtenden Moment vergehen.

5. ZWEI ARTEN VON LEER
    Nachdem er im Sunrise Market in der Broome Street gewesen war, kurz vor Ladenschluss, blieb Tito in der Grand Street vor den Schaufenstern von Yohji Yamamoto stehen.
    Ein paar Minuten nach zehn. Die Grand war völlig menschenleer. Tito sah sich nach beiden Seiten um. Nicht einmal das Gelb eines Taxis irgendwo. Dann blickte er wieder auf das asymmetrische Revers von einer Art Cape oder Wickelumhang mit Knöpfen. Er sah sein eigenes Spiegelbild, dunkle Augen und dunkle Kleidung. In einer Hand die Sunrise-Plastiktüte mit dem kaum spürbaren Gewicht der japanischen Instantnudeln in weißen Styroporschalen. Alejandro zog ihn manchmal auf, er könne genauso gut die Styroporschalen essen, aber Tito mochte die Nudeln. Japan war ein Planet mildtätiger Mysterien, Quelle von Computerspielen, Anime-Filmen und Plasma-TVs.
    Yohji Yamamotos asymmetrische Revers waren dagegen kein Mysterium. Das war Mode, und Tito glaubte, sie zu verstehen.
    Im Gegensatz dazu verstand er manchmal nicht, wie er die kostspielige Nüchternheit des Fensters, in das er gerade blickte, mit den gleichermaßen, aber doch anders nüchternen Laden-fronten in Havanna, an die er sich erinnerte, in Einklang bringen konnte.
    Es hatte kein Glas in diesen Fenstern gegeben. Hinter jedem der grob zusammengefügten Metallgitter verströmte eine einzige Leuchtstoffröhre ihr Unterwasserlicht. Und – unabhängig davon, was untertags angeboten wurde – man konnte keine Ware sehen. Nur sauber gefegte Böden und fleckigen Putz.
    Er sah sein Spiegelbild sanft mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher