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Quellcode

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Titel: Quellcode
Autoren: William Gibson
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war. »Aber mit diesen Dingern hier …«, er schaltete irgendetwas an den zwei verbundenen Teilen ein, klappte das Handy auf und tippte flink mit dem Daumen auf der Tastatur herum. »Wenn das hier als Kombigerät erhältlich ist …« Er gab ihr das Ding. Ein Handy und etwas, das sie als GPS-Gerät identifizierte, obwohl das Gehäuse teilweise weggeschnitten war. Heraus ragten anscheinend zusätzliche elektronische Bauteile, versiegelt durch das Klebeband.
    »Was macht es?«
    »Schau hin!«, sagte er.
    Hollis blickte mit zusammengekniffenen Augen auf den kleinen Schirm. Hielt ihn näher vor ihre Augen. Sie sah Albertos wollene Brust mit einem kubistischen Overlay aus gespenstischen, halbtransparenten Vertikalen und Horizontalen. Ganz helle Kreuze? Sie sah Alberto an.
    »Das ist keine Locative Art«, sagte er. »Es ist nicht räumlich markiert, also mittels GPS verortet. Sieh mal auf die Straße damit.«
    Sie richtete den zusammengeschusterten Hybriden auf den Sunset und sah nun ein gestochen scharfes, perfekt ebenes Feld aus weißen Kreuzen, gleichmäßig angeordnet wie in einem unsichtbaren Gitternetz, das sich über den Boulevard in eine imaginäre Ferne zog. Die aufrecht stehenden, quadratischen Kreuze, ungefähr auf einer Ebene mit der Straße, schienen sich in einer zunehmend blasser werdenden und irgendwie unterirdischen Perspektive bis unter die ansteigenden Hollywood Hills zu erstrecken.
    »Im Irak gefallene amerikanische Soldaten«, sagte Alberto. »Ursprünglich hatte ich es mit einer Website verbunden, die entsprechend den Todesmeldungen Kreuze hinzufügte. Man kann es überallhin mitnehmen. Ich habe eine Diashow mit Aufnahmen von toten Soldaten, zeige sie aber lieber nicht, weil die Leute sonst denken könnten, dass die tatsächlichen Aufnahmen aus Bagdad Photoshop-Fakes sind.« Während ein schwarzer Range Rover durch das Feld von Kreuzen fuhr, blickte Hollis zu Alberto hin und sah ihn gerade noch mit den Schultern zucken.
    Odile blinzelte über den Rand ihrer weißen Schale mit Café au Lait hinweg. »Kartographische Attribute des Unsichtbaren«, sagte sie und stellte den Kaffee ab. »Räumlich markierte Hypermedia.« Diese ganze Terminologie schien ihre Sprachfertigkeit um den Faktor 10 zu erhöhen, sie sprach kaum noch mit Akzent. »Der Künstler kommentiert jeden Zentimeter Raum, alles physisch Existierende. Zu sehen für alle, auf Geräte wie diesem.« Sie zeigte auf Albertos Handy, als wäre dessen geschwollener, silberner Klebebandbauch schwanger mit einer ganzen Zukunft.
    Hollis nickte und gab Alberto das Ding zurück. Obstsalat und getoasteter Bagel kamen. »Und du hast diese Art von Kunst in Paris als Kuratorin betreut, Odile?«
    »Überall.«
    Rausch hatte recht, dachte Hollis. Es gab hier etwas, worüber zu schreiben sich lohnte, obwohl sie weit davon entfernt war zu wissen, was es war.
    »Kann ich dich etwas fragen?« Alberto hatte seinen Obstsalat schon halb verspeist. Ein systematischer Esser. Er hielt inne, die Gabel in der Luft, und sah sie an.
    »Ja?«
    »Woher wusstest du, dass es mit The Curfew aus war?«
    Sie sah ihm in die Augen und sah darin den echten Otaku-Fanblick. Natürlich war das oft der Fall, wenn jemand in ihr die Sängerin der Kultband aus den frühen Neunzigern erkannte. Die Fans von The Curfew waren derzeit praktisch die einzigen, die wussten, dass die Band existiert hatte, außer ein paar Ra-diomoderatoren, Pophistorikern, Musikkritikern und - Sammlern. Aber weil Musik heute immer weniger an Live-Aufführungen gebunden war, kamen immer noch neue Fans dazu. Die, wie Alberto, oft erstaunlich fanatisch waren. Hollis hatte keine Ahnung, wie alt er gewesen war, als die Band sich getrennt hatte, aber was sein Fanboy-Modul betraf, hätte es genauso gut gestern sein können. Nachdem ihr eigenes Fangirl-Modul für alle möglichen Musiker immer noch einen zentralen Platz einnahm, konnte sie ihn gut verstehen und fühlte sich deswegen verpflichtet, ihm eine aufrichtige Antwort zu geben.
    »Wir haben das eigentlich nicht so recht gewusst. Es hat einfach aufgehört. Es geschah einfach nichts mehr, auf einer entscheidenden Ebene, obwohl mir noch nie klar war, wann das eigentlich passierte. Es wurde einfach schmerzhaft offensichtlich. Und dann haben wir hingeschmissen.«
    Er wirkte ungefähr so zufrieden mit der Antwort, wie sie erwartet hatte, aber soweit ihr bewusst war, war das die Wahrheit. Mehr konnte sie ihm nicht sagen. Sie hatte für sich selbst niemals einen
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