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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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niemals kooperiert und
damit durchkommt. Es hat einen Fehler im System gefunden, sodass es immer so
aussieht wie man selbst. Und wenn man sich selbst nicht mehr vertrauen kann,
wem dann?
    »O ja«, sagt der Überverräter und zieht den Abzug durch.
    Wenigstens ist es nicht das Kriegerhirn ,
denke ich, als der Blitz einschlägt.
    Und dann gerät alles aus den Fugen.
    In ihrem Traum ist Mieli auf der Venus und isst einen Pfirsich.
Das Fruchtfleisch ist süß und saftig und ein klein wenig bitter. Es mischt sich
aufs Köstlichste mit Sydäns Geschmack.
    »Du Miststück«, sagt sie und atmet schwer.
    Sie liegen in einer Quantenpunkt-Blase vierzehn Kilometer über dem
Cleopatra-Krater, eine winzige Menschheitszelle: schweißtreibender Sex an einem
schroffen Steilhang der Maxwell Montes. Draußen heulen die Schwefelsäurewinde.
Das bernsteingelbe Licht, das durch die Wolkendecke fällt, sickert auch durch
die Hülle aus diamantharter Pseudomaterie und lässt Sydäns Haut wie Kupfer
glänzen. Ihre Handfläche ruht über Mielis immer noch feuchtem Geschlecht und
passt genau auf ihren Venushügel. In Mielis Bauch flattert es wie mit trägen
Flügeln.
    »Was habe ich denn getan?«
    »Alles Mögliche. Hat man dir das in der Gubernja beigebracht?«
    Sydän lächelt wie ein Kobold, in ihren Augenwinkeln bilden sich
Krähenfüßchen. »Das letzte Mal ist bei mir tatsächlich schon ziemlich lange
her.«
    »Von wegen.«
    »Und wenn schon? Ist doch sehr schön.«
    Sydän fährt mit den Fingern ihrer freien Hand die Umrisse des
silbernen Schmetterlings-Tattoos auf Mielis Brust nach.
    »Lass das«, sagt Mieli. Ihr wird plötzlich kalt.
    Sydän nimmt die Hand weg und streichelt Mielis Wange.
    »Was hast du denn?«
    Das Fruchtfleisch ist verspeist, nur der Kern ist noch da. Sie
behält ihn eine Weile im Mund, bevor sie ihn ausspuckt. Ein raues kleines Ding,
über und über mit eingravierten Erinnerungen bedeckt.
    »Du bist gar nicht hier. Du bist nicht real. Du sollst nur
verhindern, dass ich im Gefängnis den Verstand verliere.«
    »Gelingt es mir?«
    Mieli zieht sie an sich und küsst sie auf den Hals. Sie schmeckt
ihren Schweiß auf der Zunge. »Nicht so ganz. Ich will nicht weg.«
    »Du warst immer die Stärkere von uns beiden«, sagt Sydän und
streicht Mieli übers Haar. »Es ist fast so weit.«
    Mieli klammert sich an sie, an den Körper, der ihr so vertraut ist.
Die Edelsteinschlange um Sydäns Bein drückt sich in ihr Fleisch.
    Mieli . Die Stimme der Pellegrini weht wie ein
kalter Wind durch ihren Kopf.«
    »Nur noch ein klein wenig länger …«
    Mieli!
    Der Übergang ist hart und schmerzhaft wie ein Biss auf den
Pfirsichkern. Sie bricht sich am harten Kern der Wirklichkeit fast die Zähne
aus. Eine Gefängniszelle, falsches, blasses Sonnenlicht. Eine Glaswand und
dahinter zwei Diebe im Gespräch.
    Die Mission. Monatelange Arbeit, um sie vorzubereiten und
auszuführen. Mieli ist mit einem Schlag hellwach, und der Plan geht ihr durch
den Kopf.
    Es war ein Fehler, dir diese Erinnerung zu geben ,
hört sie die Stimme der Pellegrini. Es ist schon fast zu
spät. Lass mich jetzt hinaus: Hier drin wird es mir zu eng.
    Mieli spuckt den Pfirsichkern gegen die Glaswand. Sie zerbricht wie
Eis.
    Zuerst verlangsamt sich die Zeit.
    Die Kugel bohrt sich in meinen Schädel wie eine Eis-Migräne. Ich
falle und falle doch nicht, sondern schwebe im Nichts. Der Überverräter ist
hinter der blauen Linie zur Statue erstarrt. Den Revolver hält er immer noch in
der Hand.
    Die Glaswand zu meiner Rechten zerspringt. Die Scherben fliegen um
mich herum und blitzen in der Sonne – eine Galaxis aus Glas.
    Die Frau aus der Zelle kommt rasch auf mich zu. Sie geht so
zielstrebig, als hätte sie für diesen Moment lange geprobt. Wie eine
Schauspielerin, die ihr Stichwort bekommt.
    Sie mustert mich von oben bis unten. Sie hat kurz geschnittenes
dunkles Haar und eine Narbe auf der linken Wange: nur ein schwarzer Strich vor
der tiefen Bräune, eine präzise Gerade. Ihre Augen sind hellgrün. »Heute ist
dein Glückstag«, sagt sie. »Es gibt etwas zu stehlen.« Sie reicht mir die Hand.
    Die Kopfschmerzen werden stärker. Ich sehe Muster in der
Glasgalaxis, die uns umgibt, fast wie ein bekanntes Gesicht …
    Ich lächle. Natürlich. Ein Todestraum. Eine Panne
im System: Es dauert nur etwas länger. Gefängnisausbruch. Toilettentüren. Es
ändert sich nie etwas.
    »Nein«, sage ich.
    Die Frau im Traum blinzelt verdutzt.
    »Ich bin Jean le Flambeur«, fahre ich
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