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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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vergessen hatte. Er hat es Archon
genannt, und es sollte die Verrückten und die Bösewichte des Sobornost an
irgendeinem weit entfernten Ort festhalten. Jetzt schält er den Gogol ab wie
eine Orange und nimmt seine Erinnerungen in sich auf.
    »Sehr ungewöhnlich«, bemerkt er, als das Gefängnis drei Bewusstseine
in eine zerbrechliche Materieschale spuckt. Für einen flüchtigen Moment
bewundert er das kleine Ding in dem oortischen Schiff, dem es gelingt, eines
seiner Geschöpfe hinters Licht zu führen, und nimmt sich vor, der nächsten
Archonten-Generation die Fähigkeit mitzugeben, zwischen verschiedenen
Realitätsschichten zu unterscheiden.
    »Wir hätten es nicht einmal bemerkt«, sagt Chen, »wenn ihnen nicht
ein Fehler unterlaufen wäre. Aber es war so: Sie sollten nur zwei Gogols
erledigen, nicht drei. Und wie du siehst, ist der dritte recht interessant.«
    »O ja«, sagt der Konstrukteur und ist auf die Schöpfung der
Archonten so stolz wie ein Großvater: »Der Verweigerer. Faszinierend.«
    »Gründer-Codes. Jemand hat das Gefängnis mit Gründer-Codes geöffnet.
Wir müssen herausfinden, warum.« Chen schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Wir
befinden uns im Krieg, wir kämpfen alle gegeneinander, und manche kämpfen sogar
gegen sich selbst. Aber wir waren übereingekommen, gewisse Dinge zu
unterlassen.«
    »Das gilt vielleicht für dich, Matjek«, sagt Joséphine und fährt mit
dem Finger über den Rand ihres Wasserglases. »Jemand anders sieht das offenbar
nicht so.«
    »Wir müssen diese Gogols zurückholen. Wir müssen – ich muss in
Erfahrung bringen, was sie wissen.«
    »Aber dafür hast du doch wahrhaftig genügend eigene Gogols, nicht
wahr?«, fragt der Konstrukteur und ist sehr zufrieden mit sich, als er dem
Blick des älteren Gründers für einen Moment standhalten kann. »Wir haben
größere Werke zu beginnen und zu vollenden.« Er spürt, wie Chens Gereiztheit
unter der ruhigen Fassade des Gogols wächst, sie bringt die Luft zum Knistern
wie statische Elektrizität.
    »Sasha«, begütigt Joséphine. »Wir sind doch keine Kinder mehr. Wir
wären – ich wäre nicht zu dir gekommen, wenn wir dich nicht bräuchten.« Sie
fasst nach seiner Hand und lächelt, und auch nach drei Jahrhunderten und
Milliarden von Verzweigungen fällt es dem Konstrukteur schwer, dieses Lächeln
nicht zu erwidern. »Matjek, vielleicht solltest du mich allein mit Sasha
sprechen lassen.« Sie sieht dem alten Gründer fest in die Augen. Zum Erstaunen
des Konstrukteurs weicht er ihrem Blick aus. »Schön«, sagt Chen. »Vielleicht
kann das eine Kind das andere zur Vernunft bringen. Ich bin bald wieder
zurück.« Er verlässt den Vir-Raum ziemlich rüpelhaft, indem er den Gogol-Avatar
so heftig durch einen Riss zieht, dass der Konstrukteur Mühe hat, den Schaden
wieder zu beheben.
    Joséphine schüttelt den Kopf. »Wir reden alle von Veränderung«, sagt
sie. »Doch es gibt Dinge, die sich nicht ändern.« Sie sieht ihn an, ihre Augen
glühen. »Aber du hast dich verändert. Ich liebe all die Dinge, die du gebaut
hast. Unglaublich. Ich frage mich – steckte das immer schon in dir, schon
damals? Oder bist du erwachsen geworden?«
    »Joséphine«, bittet er. »Sag mir doch einfach, was du von mir
willst.«
    Sie zieht eine Schnute. »Ich weiß nicht, ob mir dieser erwachsene
Sasha gefällt. Du wirst ja nicht einmal rot.«
    »Bitte.«
    »Na schön.« Sie blickt auf und holt tief Atem. »Sie wollen mich
töten. Die anderen. Die Lage hat sich seit deinem letzten Winter verändert, und
zwar drastisch. Anton und Hsien sind jetzt zusammen. Chitragupta ist … nun ja,
er ist eben, wie er ist. Aber mich – mich konnten sie noch nie leiden. Und ich
bin schwach, schwächer, als du dir vorstellen kannst.«
    Der Konstrukteur starrt sie ungläubig an. »Gogolzid? Ist es schon so
weit gekommen?«
    »Noch nicht, aber das ist es, was sie im Schilde führen. Matjek ist
meine einzige Hoffnung, und er weiß, dass du auf mich hören wirst. Es geht
nicht wirklich um das Gefängnis, verstehst du: Er
will nur eine Waffe gegen die anderen. Und deine Unterstützung.«
    »Ich könnte …« Er zögert. »Ich könnte dich beschützen.«
    »Du bist lieb, aber wir wissen beide, dass das nicht geht. Dieser
Garten wird dir von den anderen geschenkt, weil du nützlich bist. Wenn du es
nicht mehr bist, gibt es auch den Garten nicht mehr. Hilf Matjek, und er wird
uns beiden helfen. Schaffe etwas, das die kleinen Ausreißer einfängt. Für dich
ist das eine
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