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Quantum

Quantum

Titel: Quantum
Autoren: Hannu Rajaniemi
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nicht richtig. Lass mal sehen. Sie
lässt sich so graziös, als wäre sie in erdähnlicher Schwerkraft, neben Mieli
nieder und schlägt die Beine übereinander. Dann streichelt sie Mielis Wange und
sucht mit diesen tiefbraunen Augen ihren Blick. Ihre Finger sind warm bis auf
einen kalten Streifen. Einer ihrer Ringe liegt genau auf Mielis Narbe. Ihr
Parfüm steigt Mieli in die Nase. Etwas bewegt sich ,
die Räder eines Uhrwerks drehen sich, bis sie klickend einrasten. Und mit einem
Mal ist ihr Bewusstsein so glatt wie Seide.
    Ist das nicht besser so? Eines Tages wirst du
verstehen, dass unsere Methode funktioniert. Man zerbricht sich nicht den Kopf
darüber, wer wer ist, sondern sieht ein, dass sie alle man selbst sind .
    Die Dissonanz ist verschwunden, als hätte jemand kaltes Wasser auf
eine Brandwunde gegossen. Die jähe Erleichterung ist so stark, dass Mieli fast
in Tränen ausbricht. Aber das wäre in ihrer Gegenwart
nicht angebracht. So schlägt sie nur die Augen auf und wartet auf ihre Befehle.
    Kein Dankeschön? , fragt die Pellegrini. Na gut. Sie öffnet ihre Tasche, entnimmt ihr einen kleinen
weißen Zylinder und steckt ihn in den Mund: Ein Ende leuchtet auf und verströmt
einen unangenehmen Geruch. Nun sag mir: Was hältst du von
meinem Dieb?
    »Darüber steht mir kein Urteil zu«, sagt Mieli ruhig. »Ich lebe, um
zu dienen.«
    Gute Antwort, wenn auch etwas langweilig. Sieht
er nicht gut aus? Nun komm schon, sei ehrlich. Kannst du wirklich noch länger
deiner verlorenen kleinen Liebe nachtrauern, wenn jemand wie er in deiner Nähe ist?
    »Brauchen wir ihn wirklich? Ich kann das nicht. Lass mich dir
dienen, wie ich es schon früher getan habe …«
    Die Pellegrini lächelt, ihr Lippenstift hat die Farbe reifer
Kirschen. Diesmal nicht. Du bist, wenn schon nicht der
mächtigste, so doch der treueste meiner Diener. Tu, was ich dir sage, und deine
Treue wird belohnt werden .
    Dann ist sie fort. Mieli liegt allein in der Pilotenwanne. Die
Schmetterlinge tanzen um ihren Kopf.
    Meine Kabine ist nicht viel größer als ein Besenschrank. Ich
versuche, einen Protein-Milchshake zu mir zu nehmen, den der Fabber an der Wand
produziert hat, aber mein neuer Körper verträgt noch keine Nahrung. Ich
verbringe längere Zeit auf dem Raumklo: einem kleinen Säckchen, das
selbstständig aus der Wand kommt und sich an das Hinterteil heftet. Oortische
Schiffe übertreiben es offenbar nicht mit dem Komfort.
    Eine der gewölbten Wände ist verspiegelt, und ich betrachte mein
Gesicht, während ich mit den würdelosen, aber unumgänglichen Körperfunktionen
beschäftigt bin. Es sieht seltsam aus. Von der
Theorie her stimmt alles ganz genau: die Lippen, die Peter-Lorre-Augen, wie sie
eine Geliebte vor mehreren hundert Jahren beschrieb, die Grübchen in den
Schläfen, das kurze Haar, etwas schütter und leicht ergrauend, wie ich es gerne
trage; der hagere, unscheinbare Körper, halbwegs gut in Form, mit dichtem
Brusthaar. Aber ich muss ihn immer wieder ansehen und dabei zwinkern, als wäre
das Bild nicht ganz scharf.
    Noch schlimmer ist, dass ich im Kopf ein
ganz ähnliches Gefühl habe. Die ständigen Versuche, sich zu erinnern, gleichen
dem Tasten der Zunge nach einem lockeren Zahn.
    Ich komme mir vor, als hätte man mich bestohlen .
Ha!
    Um mich abzulenken, betrachte ich die Aussicht. Die
Vergrößerungsfunktion meiner Wand reicht aus, um mir in der Ferne das
Dilemma-Gefängnis zu zeigen. Es ist ein Diamantoid-Torus mit fast tausend
Kilometern Durchmesser, aber aus diesem Blickwinkel hängt es wie ein
glitzerndes Auge mit Schlitzpupille zwischen den Sternen und starrt genau zu
mir herüber. Ich schlucke und zwinkere es weg.
    »Froh, dass du draußen bist?«, fragt die Stimme des Schiffs. Es ist
eine Frauenstimme, sie hat Ähnlichkeit mit Mielis Stimme, klingt aber jünger
und so angenehm, dass ich ihre Besitzerin unter erfreulicheren Umständen gerne
kennenlernen würde.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh. Es ist kein glücklicher
Ort.« Ich seufze. »Ich bin deinem Kapitän sehr dankbar, auch wenn sie im Moment
unter Strom steht.«
    »Hör zu«, sagt Perhonen . »Du weißt nicht,
was sie durchgemacht hat, um dich rauszuholen. Ich behalte dich im Auge.«
    Interessante Fragen, denen ich später gerne nachgehen würde. Wie hat sie mich denn rausgeholt? Und für wen arbeitet sie?
Jetzt ist es dafür noch zu früh, also lächle ich nur.
    »Ganz gleich, welchen Auftrag sie für mich hat, es kann nicht schlimmer sein, als sich
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