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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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anderes aufzuspüren. Sofern es überhaupt eins gab.
    Santino schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte, überprüfte den Sitz seines Schwertgurtes und lief mit weit ausgreifenden Schritten die Düne hinunter. Der nächste Hang war übersät mit noch mehr Knochenfragmenten, die aus dem Sand ragten wie übergroße Muscheln, elfenbeinfarben und durchscheinend wie Pergament.
    Wolfsjaulen wehte über den Hügel und richtete ihm die Nackenhärchen auf. Die Spalthunde kamen näher, auch wenn der Bergkamm sie noch von ihm trennte. Nun zog er doch sein Schwert. Mit einem singenden Geräusch löste die berühmte Klinge sich aus der Scheide. Es hatte Zeiten gegeben und andere Welten, da hatten sie Lieder über diese Klinge gedichtet und ihm Blumen vor die Füße gestreut, wenn er vom Schlachtfeld zurückgekehrt war. Doch gerade jetzt fühlte er sich nicht sehr heldenmutig. Am liebsten hätte er kehrtgemacht und sich in einer Sandkuhle verkrochen. Er tat es nur deshalb nicht, weil er wusste, dass es vergeblich war. Sie würden ihn sowieso aufstöbern.
    Die Spalthunde jagten im Kielwasser der Kjer. Sie waren Aasfresser, die sich an den Überresten der Besiegten gütlich taten und die Ruinen plünderten, noch während der Rauch sich legte. Selbst nach dem Abzug der Imperialen durchstreiften sie wochenlang die Einöden, bis nichts übrig blieb, das sie noch vertilgen konnten. Nein, sie würden nicht einfach verschwinden.
    Die letzte Steigung erwies sich als tückisch. Glasscharfe Obsidianrippen ragten aus dem Sand empor, an denen man sich leicht ein Bein aufschlitzen konnte.
    Immer mehr Hunde fielen in das Jaulen ein. Das musste ein ganzes Rudel sein.
    Santino packte das Schwert fester und ballte seine freie Hand zur Faust. Die Klinge war das Einzige, das er nicht auf seiner wilden Flucht hatte zurücklassen müssen. Die Klinge und der Armreif, der sich um seinen Unterarm wand, als wäre er mit der Haut verwachsen. Doch die Magie in den Juwelen des Reifs war ebenso erschöpft wie Santinos natürliche Kräfte. Ihre Gravuren dämmerten in der Farbe kränklicher Asche vor sich hin. Es würde Wochen dauern, bis sie sich regeneriert haben würden.
    Der Gedanke schmeckte bitter. Wochen? Er hatte noch nicht einmal Tage. Hier ging es um Stunden!
    An der Kuppe nahm er eine Hand zu Hilfe, um sich am Glasgrat hochzuziehen. Mit einem Ruck schwang er sich auf die andere Seite. Und erstarrte.
    Nichts hatte ihn auf diesen Anblick vorbereitet.
    Das leuchtende Kobalt des Himmels verschmolz mit einem azurblauen Meer. Über dem Schaum der Brandung kreisten Vogelschwärme. Es mussten Hunderte Tiere sein, wenn nicht Tausende. Die Anhöhe fiel zum Wasser hin gemächlich ab und war mit Blumen bewachsen.
Blumen!
Rosa und himmelblau leuchteten sie, und purpurn, dazwischen Wolken von Goldorange. Der Blütenteppich wogte in den Senken wie lebendiges Haar.
    Die plötzliche Farbenpracht nach den Tagen schwarzer Einöde ließ ihn zuerst glauben, seine Einbildung spielte ihm einen Streich.
    Und er fürchtete endgültig um seinen Verstand, als er das Kind entdeckte. Ein Mädchen stand inmitten der Blumen, vielleicht sechs Jahre alt, die Arme weit ausgebreitet. Weißblonde Locken flogen ihr um die Schultern. Sie drehte sich im Kreis. Langsam zuerst, dann schneller, immer schneller.
    Santino konnte seinen Blick nicht abwenden. Hitze und Wassermangel gaukelten ihm eine Fata Morgana vor, das musste es sein. Langsam bückte er sich, ohne das Kind aus den Augen zu lassen. Er streckte die Hand nach einer einzelnen Blume aus und zupfte daran. Die Blüte löste sich ganz leicht vom Stängel. Seidenfeine Blütenblätter schmiegten sich in seine Handfläche. Flüster-Akeleien. Und so viele! Die Blume fühlte sich echt an. Sie duftete sogar. Und seine Berührung ließ sie nicht verschwinden. Das war kein Traum.
    Einen Herzschlag später erfasste er die Stromlinien, die durch das Blumenfeld schnitten wie Heckwellen hinter einem Alligator und auf das Mädchen zuglitten. Siedend heiß stieg ihm das Blut in die Schläfen. Drei waren es. Nein, vier. Fünf.
    Ein Fluch blieb ihm in der Kehle stecken. Er wusste, er sollte das Weite suchen, solange die Bestien mit dem Mädchen beschäftigt waren. Doch sie war das einzige lebende Wesen weit und breit. Ein Mensch, der ihm vielleicht den Weg zu einem anderen Tor weisen konnte, oder wenigstens zu einer Siedlung, falls es so etwas hier gab. Also packte er sein Schwert mit beiden Händen, stürmte
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