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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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wieder, interessierte es Dad doch sowieso nicht, ob er lebte oder starb oder mit einer Grippe flachlag. Mom würde sich Sorgen machen, aber Mom konnte ja nichts dafür, wenn sein Vater verrücktspielte.
    Er schlurfte die lange Säulenhalle hinunter und dachte, dass er es gerade noch rechtzeitig geschafft hatte, denn der Regen wurde heftiger und trommelte nun hörbar gegen die Scheiben. Irgendwo in den oberen Geschossen zerrte Wind an einer Plane. Rhythmisches Flappen hallte von den leeren Gewölben wider.
    Und dann tauchte plötzlich das Mädchen auf.
    Von einer Sekunde auf die andere trat sie zwischen den Säulen hervor, als hätte sie nur auf ihn gewartet. Er schrak so furchtbar zusammen, dass er sich auf die Zunge biss. Okay, vielleicht spukte es ja wirklich in den alten Ruinen. Er wollte auf der Stelle herumfahren und flüchten, aber dann kam er sich vor wie ein Idiot. Es war doch nur ein Mädchen. Noch dazu eins, das ungefähr so alt war wie er. Blonde Locken standen in alle Richtungen von ihrem Kopf ab, wie bei den Rauschgoldengeln auf Moms Tagebuch. Sie trug eine Tunika, die mit großen, abstehenden Blumen benäht war und Ähnlichkeit mit der Altardecke in Moms Kirche hatte.
    »Hallo«, sagte das Mädchen. »Was ist das hier für ein Ort?«
    Ein Kätzchen landete mit einem weichen Satz vor Kens Füßen und miaute. Verstört stolperte er zurück. Das Mädchen kicherte und bückte sich, um das Tier zu streicheln. Sah er jetzt schon Geister wie Mom, oder hatte jemand der Katze das Fell lila gefärbt?
    Ihm fiel auf, dass er die Frage gar nicht beantwortet hatte, sondern das Mädchen nur anstarrte, als hätte er die Sprache verloren. »Das ist äh, das Depot«, stotterte er. »Wie bist du hier reingekommen?« Was für eine dämliche Frage. Er hätte sich gleich selbst ohrfeigen können. Durch die Tür, wie denn sonst? Zum Glück ritt sie nicht darauf herum.
    Stattdessen drehte sie sich einmal um ihre Achse. »Wohnst du hier?«
    »Ja. Also, ich meine, nein. Nicht genau hier. Ich wohne da drüben.« Er wedelte mit der Hand in eine diffuse Richtung. »Auf der Rückseite vom Roosevelt Park.« Blut stieg ihm in die Wangen. Er wusste gar nicht, warum. Nicht mal die eisigen Socken spürte er mehr an den Füßen.
    Das Mädchen hob eine Glasscherbe auf und hielt sie ins Licht. »Was ist das?«
    »Von den Fenstern. Man muss vorsichtig sein, dass sie einem nicht auf den Kopf fallen!« Jedenfalls sagte Mom das. Ihm war noch nie eine auf den Kopf gefallen. Nur Taubendreck.
    »Es ist sehr hübsch.«
    Ken verstand zwar nicht, was sie an einem Stück bunten Glases fand, aber war trotzdem froh um ihre Gesellschaft. In der Schule hatte er sie noch nie gesehen. Vielleicht war sie frisch hierhergezogen. Zarte Hoffnung keimte in ihm auf. Sie wusste nichts von seiner Freak-Familie. Vielleicht wollte sie ja mit ihm befreundet sein. Wenn nur nicht gleich ihre Mutter auftauchte. Er glaubte nämlich nicht, dass sie überhaupt hier sein durfte. Es war schon dunkel, und normale Kinder wurden um diese Zeit von ihrem Vater und ihrer Mutter ins Bett gebracht.
    Das Mädchen steckte die Scherbe ein. »Ich muss weiter.«
    Ken fasste sich ein Herz. »Wohnst du hier?«
    »Aber nein!« Kichernd, als hätte er einen Witz gemacht, hob sie die Katze hoch. Er bildete sich das nicht ein. Das Fell schimmerte in einem satten Violett. Jedenfalls für eine Sekunde, dann sah es plötzlich grün aus. Oder lag das an den Scheinwerfern?
    Das Mädchen drehte sich um und schlüpfte zwischen zwei Säulen hindurch, dann lösten seine Umrisse sich in der Dunkelheit auf.
    »Hey!«, rief er, plötzlich beunruhigt. »Pass auf, da sind Löcher im Boden!«
    Seine Stimme hallte in Echos von den Gewölben zurück, und er verstummte, weil er überhaupt keine Bewegung mehr ausmachen konnte. Eilig lief er ihr nach. Ein schwacher Duft nach Keksen hing in der Luft, doch das Mädchen war spurlos verschwunden. Er trat in einen spitzen Stein und hielt inne. Er war sich plötzlich wieder der Kälte und seiner nassen Socken bewusst.
    »Hallo? Komm bitte wieder raus!«
    Wollte sie etwa Verstecken spielen? Auch wenn sie nett war, nach Verstecken stand ihm gerade gar nicht der Sinn. Wenn sie neu hier war, dann konnte sie nicht wissen, dass dort hinten der Untergrund eingebrochen war. Einmal war er mit dem Fuß zwischen zwei Bohlen stecken geblieben und ihm war ganz schlecht geworden vor Angst, weil es so tief runter ging.
    Er umrundete das Loch im großen Bogen und ging weiter, bis zur
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