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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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Meer. Santino schob sein Schwert wieder in die Scheide auf dem Rücken und folgte ihr dichtauf.
    Schon nach ein paar Metern sandte jeder Schritt Schmerzwellen durch die Speerwunde. Er biss die Zähne zusammen, aber es half nicht viel. Die Ränder seines Sichtfeldes verdunkelten sich. Er blinzelte, um die drohende Ohmacht zu vertreiben. Bald schon konnte er das Rauschen der Brandung hören und die Schreie der Möwen, die sich vom Wind tragen ließen.
    Marielles Füße hinterließen kleine Abdrücke im feuchten Sand. Sie drehte sich um, doch ihr Blick richtete sich an Santino vorbei auf einen Punkt am Horizont. »Schnell!«, rief sie gegen den Wind an.
    Santino wandte den Kopf und sah den Reiter, der oben auf dem Bergkamm aufgetaucht war. Dann gesellte sich ein zweiter dazu. Ein dritter. Es wurden immer mehr.
    Ein Stich Verzweiflung verkrampfte ihm die Schultern. Sie hatten ihn eingeholt. Vor ihm lag das offene Meer, rechts und links erstreckten sich flache Hügel. Es gab kein Versteck und kein unübersichtliches Gelände, in dem er sie mit ihren Pferden austricksen konnte. Das war’s. Hier endete seine Flucht.
    »Jetzt komm!«, schrie Marielle.
    Aber er wollte nicht mit einem Bolzen im Rücken sterben. Er wollte ihnen lieber in die Augen sehen und ein paar von ihnen mit in den Tod nehmen.
    Auf das Gesicht des Mädchens trat Verwirrung, als er sein Schwert blankzog, statt ihrer Aufforderung Folge zu leisten.
    »Lauf schon«, brüllte er sie an. »Lauf, ich halte sie auf.«
    Marielle schüttelte den Kopf, dass ihre Locken flogen, als könnte sie so viel Dummheit nicht fassen. Sie packte seinen Mantelsaum und zog daran. »Wir müssen zum Tor.«
    Der erste Reiter auf dem Kamm hob den Arm. Die langen Bänder seiner Schulterrüstung flatterten im Wind. Santino wusste, dass sie mitternachtsblau leuchteten, die Kanten mit Silber gesäumt. Und Gold bei den Offizieren. Dann, wie eine riesige Dampfwalze, floss die Masse der Soldaten den Hang herunter.
    »Das Tor!« Sie deutete auf einen Vogelfelsen draußen im Wasser, an dem die Wellen sich zu schaumiger Gischt brachen.
    »Das Ding ist ein Tor?«
    Ihre Augen leuchteten in spitzbübischem Grinsen auf, in dem kaum Furcht mitschwang, dafür eine Menge Schuldbewusstsein. Sie sah aus wie ein Kätzchen, das mit den Schnurrhaaren im Sahnetopf erwischt worden war.
    Die Kjer waren nun so nahe, dass Santino die Bronzemasken vor ihren Gesichtern erkannte. Das Dröhnen der Pferdehufe rollte ihnen voraus wie Donner.
    »Dann los!« Er packte ihre Hand und warf sich mit ihr in die Wellen. Das Wasser stieg ihm bis zu den Hüften und ihr bis über die Brust. Eine große Welle spülte über sie hinweg. Als er wieder etwas sehen konnte, hatten die Reiter den Strand erreicht und trieben ihre Tiere in die Fluten. Sie waren nun beinahe in Schussweite.
    Vor ihnen ragte der Felsen auf. Die Salzfluten hatten einen eiförmigen Durchbruch in die Felsflanke gewaschen, der gerade groß genug war, dass ein Mann sich hindurchzwängen konnte. In unzähligen Schrunden wucherten Flechten. Beim Näherkommen scheuchten sie Pelikane mit blau schillerndem Gefieder auf.
    Santino hörte den Bolzen nicht, denn die Brandung gurgelte und schmatzte und schäumte, sodass er kaum sein eigenes Wort verstand. Doch er spürte die Steinchen gegen seine Wange spritzen, als das Geschoß in die Felswand neben ihm schlug. Nachträglich zuckte er zusammen.
    Marielle fummelte eine Nadel aus ihrem Haarschopf, zog eine Schnute und stach sich in den Finger.
    Mehr Bolzen platschten vor ihnen ins Wasser. So nah. Jedes Geschoss konnte tödlich sein. Der Offizier mit den mitternachtsblauen Bändern lenkte sein Ross mit den Schenkeln durch die Wellen, während er mit beiden Händen die Armbrust hob.
    Santino schlug den nächsten Bolzen mit der Klinge beiseite, bevor er Marielle zwischen den Schultern erwischte. Sein Puls raste. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Marielle sich an den glitschigen Felsstufen hochzog, bis in den Bogen hinein.
    Einen Lidschlag später spürte er, wie das Tor zum Leben erwachte. Es war keine sichtbare Veränderung, eher wie eine Verschiebung des Luftdrucks, eine winzige Abkühlung.
    Der Offizier trieb sein Pferd an, direkt auf ihn zu. Ein Schwert schimmerte nun in seiner Faust, eine schlanke Saphirklinge, wie sie nur die Kjer zu führen wussten.
    Und Santino begriff im gleichen Moment, dass sie es schaffen konnten. Gerade so.
    Er fuhr herum und erklomm den Fels. Marielles Umrisse verschwammen, dann war sie
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