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Psychotherapeuten im Visier

Psychotherapeuten im Visier

Titel: Psychotherapeuten im Visier
Autoren: Holger Reiners
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Gegenpol gibt es aber nicht die Frühlingsdepression, obwohl die Krankheit Depression gerade in diesen Monaten als besonders schlimm empfunden wird. Dann gibt es die Wortkombination »depressive Verstimmung«, wobei das Schwergewicht ganz offensichtlich auf Verstimmung liegt, nicht aber auf der Krankheit. Und was meinen wir umgangssprachlich mit »leichter« oder »schwerer Depression«? Auch wenn es zur Abgrenzung hier ein international gültiges Klassifizierungssystem gibt, ist das in der Interpretation allein den Psychiatern vorbehalten und nur für sie, für Ärzte und Psychologen verständlich.
    Menschen, die einmal unter Depressionen als Krankheit litten, wissen, wie leichtfertig die Allgemeinheit mit dem Begriff umgeht – bis hin zum Spott. Das tut weh.
    Wenn wir einem Menschen, der unter zermürbenden Depressionen leidet, unter kurzen Episoden oder immer wieder unter depressiven Schockerlebnissen, denselben Respekt als Kranken entgegenbringen wollen wie einem Menschen, der unter Krebs leidet, dann müssen wir dem Krankheitsbild Depression eine neue, eine eindeutige sprachliche Identität geben.
    Von einem Chefarzt der Psychiatrie erhielt ich nach einem solchen Vorschlag die Antwort: Das werden Sie national nie erreichen und international schon gar nicht. Nun habe ich selten kreative Ärzte erlebt und noch weniger mutige, die auch bereit sind, mit sämtlichen Konventionen zu brechen.
    Im Sinne der vielen, vielen Depressionskrankheiten sollten wir uns alle Mühe geben, einen absolut eindeutigen, würdevollen Begriff für das Krankheitsbild Depression zu kreieren. Niemand würde es wagen, einem Krebskranken, der gerade die niederschmetternde Diagnose erhalten hat, mit beschwichtigenden Worten klarmachen zu wollen: Na, das
wird schon wieder, das ist doch nur eine schlechte Stimmung des Körpers!
    Ich bitte daher sowohl die Fachleute, die ich in diesem Buch ins Visier genommen habe, Vorschläge für einen neuen Krankheitsbegriff zum Geschehen der Depression zu machen, ebenso wie Betroffene und Interessierte. Es muss Mittel und Wege geben, einen solchen Gedanken in die Tat umzusetzen – auch gegen den Widerstand aller möglichen Fachgesellschaften, therapeutischer Schulen und Patriarchen – es sind eben leider keine Frauen dabei!
    Ich weiß, dass ein Appell an die Spitzen der Psychiatrie und Psychologie im Nirwana der Eigeninteressen verschwinden würde. Aber es gibt eine junge, engagierte neue Generation von Therapeuten und Wissenschaftlern, von denen ich mir ein Umdenken und Unterstützung bei diesem Vorhaben denken kann.
    Das Urheberrecht soll dann demjenigen zufallen, dessen Wortschöpfung sich für das Krankheitsbild Depression sowohl in der Fachwelt als auch unter Patienten durchsetzt. Die Idee kann also sowohl von »oben«, also von den Fachleuten kommen, als auch von »unten« als Patientenwunsch eingefordert werden. Ich erbitte zum Wohl der vielen Depressionskranken sehr ernsthaft um Vorschläge von Begriffen entweder auf Deutsch oder auch auf Englisch und hoffe, dass wir gemeinsam in nicht allzu ferner Zukunft Erfolg haben werden. Die Depression darf nicht länger verbaler Spielball aller möglichen doppeldeutigen Auslegungen sein. Auf diesem Recht bestehe ich.
    Holger Reiners
Reiners Stiftung zur Förderung von
Architektur und Wissenschaft
Hamburg, im Juli 2011

© 2011 Diederichs Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Weiss |Werkstatt | München
unter Verwendung eines Motivs © shutterstock
     
     
    eISBN 978-3-641-06361-0
     
    Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten
lieferbaren Programm finden Sie unter:
www.diederichs-verlag.de
    www.randomhouse.de
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